Österreich braucht dringend mehr Weitblick
Es ist also vorbei. Offiziell zumindest. Diese Woche fand die letzte geplante Plenarsitzung dieser Legislaturperiode unter Schwarz-Grün statt. Es war ein letztes Aufbäumen vor dem Sommer. 50 Gesetzesvorlagen sollten durchgepeitscht werden. Die Abschlussberichte der beiden U-Ausschüsse wurden besprochen. Es gab ein paar Volksbegehren, Berichte des Rechnungshofes und, und, und. Es gab einen Misstrauensantrag der FPÖ gegen die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler – den die ÖVP nicht unterstützte, obwohl sie sich nach wie vor überzeugt gab, dass der Ministerin strafrechtlich relevantes Verhalten vorzuwerfen sei. Das wurde im Parlament von allen Seiten dementsprechend emotional kommentiert.
Ordentlich viel Theaterdonner als Anheizer für die Wahl im Herbst also.
Wofür man die dort kandidierenden Parteien eigentlich wählen soll, ist bisher unklar: Die Wahlprogramme lassen auf sich warten. Weil man noch in Endausarbeitung ist? Oder weil man vielleicht doch noch nicht so genau weiß, was man da eigentlich hineinschreiben soll?
Nicht dass man sich der Illusion hingeben dürfte, dass der gemeine Wähler diese Papiere vor dem Kreuzerlmachen auch wirklich liest und demnach entscheidet. Es geht meist viel simpler und emotionaler zu. Dieses Mal gäbe es aber durchaus gute Gründe, sich die spröde Sachpolitik anzutun, die dort unterbreiteten Vorschläge zu lesen und auf ihre Gescheitheit durchzudenken. Denn, drastisch formuliert: Das Land geht langsam, aber sicher den Bach hinunter. Wer auch immer als Nächstes auf der Regierungsbank sitzen wird, muss riesige Baustellen übernehmen, und die können nur mit klugen Reformen fertiggestellt werden.
Die aktuelle Regierung hat da vieles erst gar nicht angegriffen. Man war anderweitig mit Troubleshooting beschäftigt: Covid, der Ukraine-Krieg und die damit einhergehende Inflation. Das hatte Priorität. Um dem beizukommen, wurden Milliarden über Milliarden ausgegeben. Über die Sinnhaftigkeit mancher Maßnahmen kann man streiten. Insgesamt konnte man aber das Gefühl bekommen, Geld sei abgeschafft. Ist es freilich nicht.
Momentan klafft eine erschreckend große, milliardenschwere Budgetlücke. Ernsthafte Ideen, wie man diese schließen will, waren noch nicht zu vernehmen. Die strauchelnde Wirtschaft wird den Topf nicht signifikant füllen – sondern hat im Gegenteil im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit (recht sinnvolle) Forderungen, deren Umsetzung noch weniger in die Staatskasse spülen würde: zum Beispiel die Senkung der Lohnnebenkosten.
Neue Steuern könnten Einnahmen lukrieren – derzeit gibt es aber keine vorstellbare künftige Regierungskoalition, die sich auf etwas einigen könnte, das signifikant etwas bringen könnte (Reichensteuer). Die einfachste Möglichkeit, das Budget zu schonen, versteht jedes Kind und heißt: Man gibt weniger aus. Die nächste Regierung wird wohl kaum um ein Sparpaket herumkommen.
Das ist nicht nur ein schwieriger Start, sondern auch etwas grotesk: Denn der Staat bräuchte für wichtige Vorhaben mehr Mittel – viel mehr. Stichworte: Bildungssystem, Gesundheitssystem, Pflege – oder Pensionen. Dort werden derzeit Unsummen verschlungen – bei wachsender Ineffizienz und größer werdenden Problemen. Das heißt: Es braucht nicht nur Investitionen, um das Schiff zu drehen, sondern auch wirklich gute Ideen, wie man das Ruder herumreißen könnte. Und daran mangelt es derzeit wohl noch mehr als am nötigen Kleingeld.
Ideen – das heißt nicht unbedingt, dass man auf eine Eingebung warten muss und diesem Schicksal ergeben ist. Ideen kann man auch entwickeln. Etwa, indem man mit Stakeholdern spricht, aber vor allem zuhört und das auch ernst nimmt. Es bedeutet, harte Verhandlungen zu führen, und zwar auf Augenhöhe.
Auch das ist der letzten Regierung (und schon der davor, dank Sebastian Kurz) abhandengekommen: der Wille, die Mühe auf sich zu nehmen, sich mit allen Beteiligten ergebnisoffen und ernsthaft auseinanderzusetzen, um dann etwas zu entwickeln – und solche Gespräche eben nicht nur als Legitimationsmaßnahme für politisch innerhalb der Regierung ohnehin schon Ausgedealtes zu betrachten.
Wer politische Macht ausüben will, muss entscheiden. Das ist klar. Nur ist der Weg, wie man zu Entscheidungen kommt, in den vergangenen Jahren ein kürzerer und schmälerer geworden. Mit dem Vorteil, dass Dinge auch schneller passieren – und dem Nachteil, dass Blickwinkel teils ganz massiv verengt wurden. Eine Verbreiterung der Diskussion im Sinne des kumulierten Hirnschmalzes der besten Köpfe wird unerlässlich sein, um einen Ausweg aus dieser bereits verfahrenen Situation zu finden. Das bedeutet für Regierende aber auch, sich selbst weniger wichtig zu nehmen – und auch einmal zurückzustecken.