Regieren aus Leidenschaft
Leidenschaft kann Beziehungen lange aufrechterhalten – auch wenn allen Beteiligten klar ist, dass daraus wohl niemals tiefe Liebe werden kann. So war das, als Ex-ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz 2019 verkündete, mit den Grünen in Verhandlungen treten zu wollen. Es war neu, es war aufregend – es war etwas anderes.
Es waren nicht die Unterschiede zwischen beiden Parteien, die im Vordergrund standen – sondern das positive Mindset, das ein Zusammenfinden ermöglichte: Um ein Land regieren zu können, muss man nämlich auch regieren wollen. Kurz und Werner Kogler wollten wirklich, sie gingen voller Elan an die Sache – und ebenso emotional war die Trennung am Schluss. Die Parteichefs von Schwarz, Rot und Neos wollen nicht zusammen sein. Sie müssen.
Ja, die Voraussetzungen sind nicht ideal. Erstens, hat jemand anderer die Wahl gewonnen – nämlich FPÖ-Chef Herbert Kickl. Zweitens hängt das persönliche Überleben der Parteichefs von einer erfolgreichen Regierungsbildung ab. Wenn sie nicht bald etwas Ordentliches auf den Tisch legen, dann werden die Stimmen, doch mit der FPÖ zu koalieren, lauter – und das wäre bei der ÖVP nur mit anderer Führung denkbar. Das, drittens, angesichts einer Steiermarkwahl, die wieder Auftrieb für die FPÖ und Dämpfer für ÖVP und SPÖ sein wird. So viel kann man getrost prophezeien.
Dann wird – viertens – der Druck aus dem ÖVP-Wirtschaftsflügel noch mehr steigen, es doch mit der FPÖ zu versuchen. In Wirtschaftsfragen sind die beiden Parteien kongruent. Die wirtschaftliche Lage ist – fünftens – zunehmend gruselig: Jeden Tag vermelden Unternehmen den Untergang – oder, knapp davorzustehen. Es muss den neuen, politischen Verantwortlichen dringend etwas einfallen, um diesen Trend umzukehren. Gleiches gilt für Bereiche wie Bildung, Pflege oder Integration. Und da wären wir bei Hürde sechs: Es ist kein Geld dafür da, weil die vorige Regierung geurasst und mit dem Budget Schindluder getrieben hat. Siebtens: Unterschiedlicher könnten die Parteien in ihrer Herangehensweise nicht sein.
Kann das gutgehen?
SPÖ und ÖVP haben das Gefühl, eine bereits geschiedene Ehe in vielen Therapiestunden à la Verhandlungen kitten zu müssen. Mit den Neos als (nicht unbedingt notwendiges) drittes Rad am Wagen wird das nicht leichter. Und dann schielen die Regierenden in spe auch noch nach Deutschland – dort ist die Dreierkoalition gerade geplatzt und schlittert durch die FDP provoziert – in Neuwahlen. Man stellt sich die Frage: Kann man zu dritt überhaupt regieren?
Ja, kann man. Österreich ist nicht Deutschland. Die Neos sind nicht die FDP. Karl Nehammer ist nicht Olaf Scholz. Und die zunehmend schlechter werdende Situation in Österreich kann – so blöd das klingt – auch zu einem Spielfeld werden, auf dem diese Regierung Tore schießen könnte. Dass es in manchen Fragen eher fünf nach als fünf vor zwölf ist, könnte den Parteichefs zu Stärke verhelfen, weil auch in der Vergangenheit reformblockierende Kräfte wie Gewerkschaften, Kammern oder Bünde mittlerweile klar sein dürfte: So geht das alles nicht mehr.
Es könnte ein Moment gekommen sein, der es zulässt, Reformen durchzuboxen. Vielleicht braucht es eine ungewöhnliche Regierungskonstellation, um ungewöhnliche Lösungsansätze überhaupt denken zu können – und den nötigen Konsens auf vielen Ebenen herzustellen? Gebündelte Kräfte für Kraftakte. Das sollte jedenfalls das Mindset sein, mit dem man in Verhandlungen geht.
Leider ist es das aber nicht. Statt mutig an die Sache heranzugehen, tut man das, was man von der Politik – leider – erwartet. Da werden Diskussionen um Ressortverteilung schon in einer Phase der Sondierungshandlungen angestoßen. Innerhalb der Parteien diskutiert man über Postenbesetzungen noch bevor man eine gemeinsame Idee für das Land entwickelt hat – und sich etwa dann überlegt: Wer könnte der/die Bestmögliche sein, um diese Aufgabe zu bewältigen. Theoretisch gibt es 1000 Gründe, warum jemand Minister oder Ministerin werden sollte – aber schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Besetzungen wieder den alten, partiinternen Logiken folgen sollen. Im Falle der ÖVP zum Beispiel: Wer kommt aus welchem Bund oder Bundesland.
Das ist jetzt aber wirklich nicht das Thema. Wenn am Ende der Verhandlungen Pragmatismus eintritt, ist das verständlich. Aber jetzt braucht es für das gemeinsame Projekt vor allem eine Portion Leidenschaft und Mut – nur wer das vorlebt, wird die Bevölkerung positiv motivieren können, Veränderungen mitzutragen und als positiv wahrzunehmen.