Leitartikel

Das Gute, an dem wir würgen

Unser liebenswertes Landl wird 80 Jahre alt. Auf Pathos bei den Feiern können wir verzichten, auf gute Stimmung schon weniger.

Drucken

Schriftgröße

Am 27. April 1945 proklamierten Vertreter von SPÖ, ÖVP und KPÖ im Wiener Rathaus die Wiederherstellung der demokratischen Republik Österreich. Wien lag in Trümmern, im Westen wurde noch gekämpft. Zum 80. Jahrestag der Ausrufung der Republik, die in der Folge die „Zweite“ genannt wurde, lädt Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu einem Staatsakt. Dass am 27. April 2025 die Wiener Gemeinderatswahl stattfindet, ist eine hübsche Terminkollision. Besser als mit einer Wahl kann man ein Jubiläum zur Wiedererrichtung der Demokratie wohl gar nicht begehen.

Die Zitatensammlung zu Österreich, aus der sich Van der Bellen und alle Festredner im heurigen Gedenkjahr bedienen können, ist schier unendlich. Für Peter Handke war Österreich „das Fette, an dem ich würge“, für Grillparzers Ottokar von Horneck „ein gutes Land“, das es „wohl wert“ sei, „dass sich ein Fürst sein unterwinde“. Und Schiller lässt seinen Wallenstein sagen: „Der Österreicher hat ein Vaterland und liebt’s und hat auch Ursach, es zu lieben.“

Was sind die Gründe – trotz mancher Würgereize – für entspannte Österreich-Liebe in wirtschaftlich und geopolitisch so angespannten Zeiten?

  • Österreich ist ein stabiles Land, dessen politische Eliten im richtigen Moment funktionieren. Als FPÖ-Obmann Herbert Kickl schon einen Fuß im Kanzleramt hatte, erkannten ÖVP und Wirtschaft doch noch, dass die Zukunft des Landes in der EU und nicht in Russland liegt; dass eine kleine offene Volkswirtschaft nicht als Festung funktionieren kann.
  • Trotz aller Probleme herrschen in Österreich hohe soziale Sicherheit und ein Ausgleich zwischen Arm und Reich.
  • Bei der Aufnahme von Flüchtlingen hat sich Österreich EU-weit hervorgetan. Allerdings gilt das Wort des früheren deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck: „Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich.“
  • Das Land meisterte noch jede Krise. Derzeit stecken wir in der längsten Rezession der Zweiten Republik. Wir sollten uns daher nicht nur mit der Wiederherstellung der Demokratie im Jahr 1945 befassen, sondern auch mit der Wiederherstellung des Wirtschaftswachstums des Jahres 2025.
  • Gerade in einem Gedenkjahr darf man festhalten: Österreich hat sich seiner Geschichte gestellt und Verantwortung übernommen. Der öffentliche Umgang mit den NS-Opfern und ihren Nachfahren ist geprägt von Würde und Anstand. Mit Verfehlungen durch die üblichen Verdächtigen muss allerdings weiterhin gerechnet werden.
  • Das Land ist in kulturellen Fragen moderner, in Umweltfragen bewusster und in seinen Werten liberaler, als es manche Kritiker ertragen können.
  • Der Beitritt Österreichs zur EU am 1. Jänner 1995 ist – nach der Ausrufung der Zweiten Republik und dem Abschluss des Staatsvertrags am 15. Mai 1955 – der dritte Gedenktag, den wir heuer begehen. Jüngste Zahlen aus dem Umfrageformat „Eurobarometer“ (Dezember 2024) stimmen positiv. In Österreich vertrauen 51 Prozent der Befragten der EU, ein Zuwachs von fünf Prozentpunkten im zweiten Halbjahr 2024. Österreich liegt damit im EU-Schnitt.

Das Gedenkjahr und seine Veranstaltungen werden zu Pathos verleiten. Rührseligkeit uns selbst gegenüber zählt zu den österreichischen Eigenheiten. Wichtiger als Pathos wäre gute Stimmung. Die Wirtschaftskrise ist auch hausgemacht. Zukunftsängste verleiten zum Sparen, obwohl nach allen Statistiken das Einkommen der Österreicher in den vergangenen Krisenjahren sogar gestiegen ist.

Die Milliarden-Ausgaben der Bundesregierung haben die Kaufkraft erhalten. Die Konsumenten glauben es bloß nicht. Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP-Oberösterreich) und Verkehrsminister Peter Hanke (SPÖ-Wien) sind nun als dynamisches Stimmungsduo gefragt.

Vor zehn Jahren, zum 70. Geburtstag der Republik, verfasste die Ende März verstorbene Barbara Frischmuth für profil einen kurzen Text über das Land. Darin schrieb sie, dass „der Glaube an den eigenen Charme“ in Österreich „beinahe fundamentalistische Züge“ aufweise, während man gleichzeitig „von der eigenen Harm- und Bedeutungslosigkeit überzeugt“ sei. Wenn man der Republik zu ihrem 80. Geburtstag etwas wünschen darf: etwas weniger Infektion am eigenen Schmäh im internationalen Auftritt, etwas mehr Bewusstsein für die eigene Bedeutung im europäischen Zusammenwirken.

Gernot Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und seit 2025 Leiter des Innenpolitik-Ressorts. Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl.