Happy Birthday, Volkspartei!
Am Samstag begeht die ÖVP ihren 41. ordentlichen Parteitag in Wiener Neustadt. Sie feiert ihren neuen Obmann Christian Stocker und ihren 80. Geburtstag gleich dazu. Am 17. April 1945 wurde die ÖVP im Wiener Schottenstift gegründet.
Neo-Obmann Stocker übernimmt eine Truppe im Gefühlslimbo: Die ÖVP ist zwar Kanzlerpartei, nach der Wahlniederlage im September 2024 aber arg geschwächt. Der Verlust des Landeshauptmann-Postens in der Steiermark hat sie geschockt. Stocker, 65, der 19. und unwahrscheinlichste Obmann der Parteigeschichte, soll nun die Sehnsucht der Funktionäre nach Ruhe erfüllen.
Stocker sollte sich einmal länger mit dem zwölften Obmann, Wolfgang Schüssel, unterhalten. Der Ex-Kanzler wird heuer – wie seine Partei – 80 Jahre alt. Als Regierungschef wagte er es, gegen massive Widerstände von Opposition und Gewerkschaften eine Pensionsreform durchzusetzen, die bis heute wirkt. Der Preis, den die ÖVP für Schüssels Reformlust zahlte, war hoch. Die Nationalratswahl 2006 ging verloren, die SPÖ eroberte das Kanzleramt zurück, verzichtete aber auf eine Rücknahme der umstrittenen Maßnahmen.
Christian Stocker ist heute sogar in einer einfacheren Situation als seinerzeit Schüssel. Die SPÖ ist nicht Gegner, sondern Regierungspartner. Früher oder später werden Schwarz und Rot bei den Pensionen ansetzen müssen.
Wolfgang Schüssel war gelernter Wirtschaftspolitiker und von 1989 bis 1995 Wirtschaftsminister. Wann hat die ÖVP eigentlich aufgehört, eine Wirtschaftspartei zu sein? Wohl unter Sebastian Kurz, der die ÖVP von einer Wirtschafts- auf eine Sicherheitspartei umpolte, was sich kurzfristig bezahlt machte. Kurz jagte der FPÖ das Migrations-, Asyl- und Integrationsthema ab und gewann damit die Wahlen 2017 und 2019. Der ÖVP-Wirtschaftsbund – die bis dahin mächtigste Teilorganisation – geriet in den Hintergrund. Fortan war der Arbeitnehmerbund (ÖAAB) die bestimmende Kraft. Dessen Protagonisten – Klubobmann August Wöginger, NÖ-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, Ex-Kanzler Karl Nehammer – hielten die Wirtschaft in den vergangenen Jahren nicht für prioritär. Aus taktischer Sicht lagen sie richtig: Auch bei der Wahl im September 2024 waren die Hauptthemen Asyl und Migration sowie die Teuerung. Mit Wirtschaft war nicht zu punkten. Wirtschaftsminister Martin Kocher war ein parteifreier Wissenschaftler, dem es zwar nicht an Expertise, aber an politischer Durchsetzungsfähigkeit mangelte.
Wie wenig sich die ÖVP derzeit für Wirtschaft interessiert, zeigte sich bei der Verhandlung der Dreierkoalition um die Ressorts. Leichten Herzens überließ die ÖVP der SPÖ das Finanzministerium, um das Innenministerium behalten zu können. Markenkern der ÖVP ist eben die Sicherheit, nicht die Wirtschaftspolitik.
Doch die Lage ändert sich. Österreichs steckt bereits das dritte Jahr in einer Rezession. Eine Prognose: In den kommenden Monaten werden Wirtschaftsthemen auch für die breite Bevölkerung wichtiger werden. In dieser Situation benötigt Österreich dringend eine schlagkräftige Wirtschaftspartei in der Regierung. Wer sagt es der ÖVP? Der neue Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer geht zwar forsch ans Werk. Ankündigung bedeutet aber noch nicht Umsetzung.
Will sich die ÖVP als Wirtschaftspartei erneuern, muss sie zunächst innerparteiliche Widerstände überwinden. Nur Einsparungen bei den Staatsausgaben ermöglichen eine aktive Wirtschaftspolitik. Für die Beamten stehen die Gehaltsabschlüsse für 2025 und 2026 schon fest. Für 2027 wäre aber eine Nulllohnrunde oder zumindest ein Abschluss unter der Inflationsrate geboten. Dazu müsste sich allerdings der für den öffentlichen Dienst verantwortliche ÖVP-Staatssekretär im Kanzleramt, Alexander Pröll, gegen die vom ÖAAB dominierte Beamten-Gewerkschaft durchsetzen.
Neues Wachstum wäre durch mehr Außenhandel möglich. Mit Donald Trumps Zollpolitik werden andere Märkte wichtiger. Österreichs Regierung lehnt auf Druck der Landwirtschaftsvertreter nach wie vor eine Ausweitung des EU-Mercosur-Freihandelsabkommens ab. Dabei wäre es relativ einfach: ÖVP-Wirtschaftsminister Hattmannsdorfer müsste sich bloß gegen den ÖVP-Bauernbund durchsetzen.
Die Wiedergeburt als Wirtschaftspartei wäre für die ÖVP auch Selbstzweck. Andernfalls ist nicht sicher, dass sie ihren 85. Geburtstag noch erlebt.