Leitartikel

Wir sind das inhomogene Volk!

Warum es die FPÖ geben soll – und warum wir die Republik vor ihr bewahren müssen.

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Ob es einem gefällt oder nicht, in der aktuellen politischen Atmosphäre ist eine Partei wie die FPÖ ein unausweichliches Phänomen. Sie kanalisiert und vertritt Positionen, die in einem Teil der Bevölkerung gären, und hätte der keine effektive parlamentarische Stimme, suchte und fände er andere Wege, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen. Der Mob, der kürzlich in Großbritannien nach einem Mord an drei Kindern in den Straßen Muslime jagte und Moscheen heimsuchte, wurde von Provokateuren in den sozialen Medien aufgehetzt, die wie Heckenschützen aus dem Hinterhalt agieren. Dass der mutmaßliche Mörder kein Muslim war, kümmerte sie nicht, weil sie für das, was sie sagen, keinerlei Verantwortung tragen. Deshalb braucht es eine rechte Partei, wahrscheinlich sogar eine sehr rechte Partei. Denn auch die Ablehnung der Migration ist in einer Parlamentspartei wie der FPÖ, die sich einer Debatte und demokratischen Wahlen stellt und ihre Forderungen in Gesetzesvorschläge gießt, immer noch am besten aufgehoben.

Es ist auch ein Fehler, alle Vorhaben der FPÖ unterschiedslos als rechtsextrem abzulehnen. In der profil-Analyse einiger Punkte des FPÖ-Wahlprogramms (ab Seite 18) zeigt sich, dass manche der Ideen – etwa die Abwahl der Regierung per Volksabstimmung – ursprünglich nicht einmal von rechts kommen.

Auch in der Migrationspolitik finden sich konstruktive Pläne. Die FPÖ verlangt etwa „zahlreiche bilaterale Rücknahmeabkommen“, um abgelehnte Asylwerber abschieben zu können, oder „Programme zur freiwilligen Rückkehr“. Gute Ideen, wenn auch nicht neu. Die Tatsache, dass Migranten, die nachweislich keinen Asylgrund haben, jahrelang im Land bleiben, weil Regierung und Behörden zu lasch vorgehen oder das Herkunftsland seine Grenzen – ausgerechnet! – für Heimkehrer dichtmacht, ist nicht akzeptabel. Kein Wunder, dass der Zorn in der Bevölkerung wächst, wann immer ein derartiger Fall berichtet wird.

Es ist nicht zu leugnen, dass es meist rechte Regierungen sind, die ausloten, welche neue Möglichkeiten es geben könnte, um Migranten außer Landes zu bringen. Italien etwa hat unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni einen Sondergesandten für Syrien ernannt, um diplomatische Beziehungen wieder aufzunehmen und Abschiebungen in das Bürgerkriegsland zu ermöglichen. Ein Tabubruch, und gut möglich, dass der Plan scheitert – aber auch andere EU-Staaten schielen klammheimlich auf das heikle Experiment.

Die FPÖ will Eingebürgerten die Staatsbürgerschaft wieder aberkennen, wenn sie sich der „Geringachtung unseres Landes und Volkes“ schuldig machen.

All das sind Funktionen, die eine weit rechts stehende Partei in der Demokratie erfüllen kann. Wie gesagt: ob einem diese politischen Ziele nun gefallen oder nicht.

Doch eine solche Partei kann auch zum Risiko werden, und an diesem Punkt steht jetzt die FPÖ mit ihrem Wahlprogramm. Hans Rauscher, langjähriger politischer Kommentator, konstatiert im „Standard“ „Machtergreifungsfantasien in Kickls Programm“, und seine Warnung ist begründet. Die FPÖ möchte das „Asylrecht durch ein Notgesetz aussetzen, solange Österreich überdurchschnittlich belastet ist“. Damit überschreitet Kickls Partei die Grenzen des Rechtsstaates.

Das Asylrecht gründet in der Genfer Flüchtlingskonvention, ist festgeschrieben im Europäischen Recht und Teil des österreichischen Rechtsbestands. Es „temporär vollständig auszusetzen“, bedürfte Verfassungsänderungen, des Austritts Österreichs aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und zöge ein Verfahren vor europäischen Gerichten nach sich. Kurz: Dies ist auf dem Weg eines simplen Gesetzesbeschlusses nicht machbar. Und so erfindet die FPÖ das „Notgesetz“ – einen Gesetzesakt, den es in der österreichischen Verfassung nicht gibt und der nach dem Plan der Partei ein Grundrecht außer Kraft setzen soll. Was immer die FPÖ unter einem „Notgesetz“ versteht: Das, was sie damit erreichen will, widerspricht unserer Rechtsordnung.

Würde diese Fantasie wahr, wäre die Demokratie in Österreich am Ende.

In der Erläuterung, die die FPÖ ihrem Migrationskapitel voranstellt, beklagt die Partei, dass „das österreichische Staatsvolk seine Homogenität immer mehr verloren hat“. Indem sie die Homogenität des Volkes zum politischen Ziel erklärt, schließt die FPÖ endgültig mit ihrer Tradition als einstmals (teil-)liberale Partei ab und begibt sich in die Sphäre des völkischen Extremismus. Sie will Eingebürgerten die Staatsbürgerschaft wieder aberkennen, wenn sie sich der „Geringachtung unseres Landes und Volkes“ schuldig machen. Kein Strafdelikt also, sondern eine bloße – vermutete – Einstellung soll Bürger ihre Rechte kosten, fordert die Partei, die im Kapitel „Freie Meinungsäußerung“ Folgendes verlangt: „Wir wollen in einem Rechtsstaat leben, der strafbare Handlungen verfolgt, nicht in einem Moralstaat mit politischer Verfolgung.“

So unausweichlich eine rechte Partei wie die FPÖ im politischen Spektrum sein mag, so unerlässlich ist es, die Republik vor ihren ideologischen Wahnvorstellungen zu bewahren.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur