Martin Staudinger: Aufrüsten für den Religionskrieg

Martin Staudinger: Aufrüsten für den Religionskrieg

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Ach, war das wieder einmal ein Hallo in den sozialen Netzwerken, als das Wahlkampfteam von ÖVP-Präsidentschaftskandidat Andreas Khol zu Ostern ein Sujet mit dem Slogan „Nein zu Christenverfolgungen!“ in Umlauf brachte. Die ganz Schlauen wollten nicht einmal glauben, dass so etwas echt sein könnte; die besonders Lustigen unterstellten den Textern die Einnahme psychoaktiver Substanzen wie Weihrauch; die ideologisch Unanfechtbaren posteten Emoticons von Kotzgesichtern.

Das virtuelle Gelächter war noch längst nicht verklungen, da detonierte in einem Park der pakistanischen Stadt Lahore eine Bombe. Der Anschlag forderte mehr als 70 Todesopfer, darunter mindestens 35 Kinder, und war einem Bekenneranruf zufolge gezielt gegen Christen gerichtet, die Ostern mit einem Picknick feierten.

Insofern weist der zugegebenermaßen etwas dümmlich klingende Satz von Khol auf eine beklagenswerte Realität hin, die absolut keinen Anlass für Belustigung gibt – das ist das eine. Gleichzeitig transportiert er aber auch eine unangenehme Geisteshaltung – das ist das andere.

In den Kriegsgebieten des Nahen Ostens kann mit gutem Recht von einer planmäßigen Vertreibung gesprochen werden.

Zunächst wird niemand leugnen, dass christliche Minderheiten in vielen Weltregionen Repressionen und Angriffen ausgesetzt sind: in muslimischen Ländern, aber auch anderswo, etwa in hinduistisch und buddhistisch dominierten Gesellschaften. Am schlimmsten ist die Unterdrückung laut einem Verfolgungsindex der NGO „Open Doors“ übrigens in Nordkorea.

In den Kriegsgebieten des Nahen Ostens kann mit gutem Recht von einer planmäßigen Vertreibung gesprochen werden. Im Irak wurden die meisten christlichen Gemeinden nach 2000 Jahren Geschichte bereits ausgelöscht, in Syrien ist die Lage kaum besser. Die Gläubigen sind zwischen die Fronten diverser Kriegsparteien oder unter die Herrschaft der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) geraten. Was ihnen dort angetan wird, hat US-Außenminister John Kerry jüngst wörtlich als Genozid, also Völkermord, bezeichnet. Und eines kann man Andreas Khol auf jeden Fall glauben: persönliche Betroffenheit darüber. Seine konservativ-christliche Grundhaltung (und jetzt bitte nicht gleich „bääh“ oder Ähnliches schreien – die darf er wohl haben) ist eine von ganz wenigen Positionen, die er im Lauf seiner Karriere niemals situationselastisch zur Disposition gestellt hat.

Trotzdem erzeugt die Klage über Christenverfolgungen, die immer häufiger – und beileibe nicht nur von Khol – zu hören ist, bei vielen hierzulande ein diffuses Unwohlsein. In einer Gesellschaft, in der die Abnabelung von einem jahrhundertelang bestimmenden Katholizismus noch keine zwei Generationen alt und die Trennung zwischen Kirche und Staat längst nicht vollzogen ist, klingt sie doch ein wenig wehleidig.

Abgesehen davon ist das Christentum mit seinen gegenwärtig 2,2 Milliarden Anhängern immer noch die bei Weitem größte Weltreligion. Der Islam folgt mit 1,6 Milliarden Gläubigen weit abgeschlagen auf Platz zwei (wobei beide Konfessionen laut einer Projektion des Forschungszentrums PEW bis 2050 annähernd gleich stark sein werden).

Wo Christen verfolgt werden, geht es in der Regel auch anderen religiösen Minderheiten an den Kragen.

Zudem implizieren Mahnungen wie jene von Khol, das Christentum werde auch in Europa unterdrückt, und erheben so etwas wie einen Alleinvertretungsanspruch auf Verfolgung. Wahr ist aber vielmehr: Wo Christen verfolgt werden, geht es in der Regel auch anderen religiösen Minderheiten an den Kragen. Nicht von ungefähr nannte Außenminister Kerry bei seinen Völkermord-Vorwürfen gegen den IS dezidiert auch schiitische Muslime und Jesiden als Opfer, was in der einschlägigen Berichterstattung aber ignoriert wurde.

Auch ein wohl nicht zufällig am Karfreitag im deutschen „Handelsblatt“ erschienener Kommentar des Kolumnisten Wolfram Weimer erwähnte diesen Umstand nicht, verstieg sich aber unter dem Titel „Christenverfolgung ist Völkermord“ zu apokalyptischen Fantasien eines „islamischen Großangriffs“ auf Europa – mit „allen Mitteln der Gewalt, an vielen Fronten und in einer massenhaften Dimension, deren grauenhaftes Ausmaß uns erst langsam dämmert“.

Womit wir beim konkreten Grund wären, warum Klagen über die Christenverfolgung einen schalen Beigeschmack hinterlassen: weil sie häufig darauf hinauslaufen, die ohnehin bereits ungesunde Stimmung gegenüber der hiesigen muslimischen Minderheit weiter zu vergiften; und weil sie auf eine Sakralisierung des Politischen abzielen, also die Aufhebung der Grenzen zwischen der staatlichen und der religiösen Sphäre – und damit jenes Grundprinzip antasten, das die westliche Demokratie so klar von der verrückten Logik des politischen Islam unterscheidet wie kein anderes.

In seinem martialischen Kommentar konstatiert „Handelsblatt“-Kolumnist Weimer, dem christlichen Westen werde gegenüber der islamistischen Gewalt „nichts anderes übrig bleiben, als sich zu formieren und zu wehren“. Diesen Kampf können wir gerne führen: auf Basis konfessionsübergreifender Werte wie Rechtssicherheit, Meinungsfreiheit und anderer Menschenrechte. Aber bitte nicht als Religionskrieg.