Martin Staudinger: Ein bisschen chinesisch sein
Wie europäische Entwicklungshilfe funktioniert? Das lässt sich wunderbar am Ubangi-Fluss in der Zentralafrikanischen Republik beobachten. Ein paar Kilometer stromaufwärts der Hauptstadt Bangui wurde vergangenes Jahr Port Sao eröffnet -ein Hafen, der alle Stücke spielt: solide gemauerter, proper gepflasterter Kai; betonierte Rampen und Stiegen, die zum Ufer hinunterführen; Bürogebäude und ein Verladeplatz. Nicht einmal die Regenzeit, die den Ubangi furchterregend anschwellen lässt, kann der Anlage etwas anhaben. Und sogar WC-Häuschen gibt es hier.
Das Geld für die Errichtung von Port Sao, rund 600.000 Euro, stammt aus Mitteln des Europäischen Entwicklungsfonds EEF. "Östlich von Bangui werden die Bevölkerung und die Wirtschaft nachhaltig von dieser Anlage profitieren", freute sich Jean-Pierre Reymondet-Commoy, Chef der EU-Delegation in Zentralafrika, anlässlich der Eröffnung im Juli 2015.
Dafür ist allerdings nicht sonderlich viel los in Port Sao. Im seichten Wasser liegen Einbäume, die ab und zu in den kaum 100 Meter entfernten Kongo übersetzen. Ein paar Holzkähne warten aufgebockt auf bessere Zeiten oder einen höheren Pegelstand. Größeres Frachtgut -Kisten, Paletten oder gar Container - ist nirgendwo zu sehen.
Frauen balancieren Körbe mit Früchten und Gemüse auf dem Kopf. Auf dem Boden sind zerkleinerte Maniok- Knollen zum Trocknen ausgelegt. Fische werden ausgenommen, geputzt und verkocht. All das findet aber nicht auf dem Kai statt, der blitzblank daliegt wie ein Ausstellungsstück seiner selbst, sondern nebenan in den Sanddünen und auf nackter Erde.
Europa will mit Entwicklungshilfe immer noch die Untaten der Kolonialzeit abbüßen.
Dass hier nur Klein-und Kleinsthandel betrieben wird, hat einen einfachen Grund: Wer zum Hafen gelangen will, ist auf holprige Wege angewiesen, die sich zwischen den Hütten eines Dorfes durchschlängeln. Eine Zufahrtsstraße, die diesen Namen verdienen würde, gibt es nämlich nicht. Woran das liegt? Vermutlich daran, dass den Europäern der Hafen, den sie in die Flusslandschaft gestellt haben, herzlich egal ist. Nicht zuletzt in geschäftlicher Hinsicht.
Port Sao mag ein besonders kurioses Beispiel für versemmelte Entwicklungspolitik sein. Was diese betrifft, hört man bei Gesprächen in Afrika generell eher wenig Begeisterung für die EU - und umso mehr für China.
Die Großmacht aus dem Osten verfolgt auf dem schwarzen Kontinent eine Vielzahl von Interessen. Sie sucht nach Rohstoffen ebenso wie nach neuen Märkten zum Absatz eigener Produkte. Und sie ist bereit, auch die Infrastruktur zu schaffen, die für die Ausbeutung Ersterer und die Erschließung Letzterer notwendig ist: Straßen, Eisenbahnen und Brücken beispielsweise -aber auch Häfen, die an ein Verkehrsnetz angeschlossen sind.
Gleichzeitig scheren sich die Chinesen keinen Deut um jene Grundwerte, die Europa seinem Handeln mit bester Intention zugrunde legt: Demokratie, Menschenrechte und Umweltschutz etwa. Und sie betreiben wirtschaftliche Investments als Teil der staatlichen Politik. Das verschafft ihnen gegenüber europäischen Unternehmen substanzielle Wettbewerbsvorteile. Diese kommen vielen Afrikanern wiederum durch schnelle und konkrete Ergebnisse bei der Umsetzung von Projekten zugute.
Nicht nur das bringt den Chinesen Sympathiepunkte. Sie gelten zudem als verlässliche Geschäfts-und Vertragspartner, die mit ihrem Gegenüber auf Augenhöhe verkehren. Auch die Idee der Entwicklungshilfe ist ihnen nicht fremd: Allerdings basiert sie, wie es der Afrika-Experte Xiao Yuhua von der Zhejiang Normal University formuliert, "auf dem Business-, nicht auf dem Spendengedanken".
China habe damit "eine Nische besetzt", schreibt die ehemalige Entwicklungshelferin Petra Navara in ihrem gescheiten Buch "Was macht Herr Lin in Afrika?"- und zwar die Nische "der Hilfe, die nicht fragt; die des mutigen Investments in einer Zeit, in der andere sparten". Das ist ziemlich genau das Gegenteil der europäischen Herangehensweise, die immer noch auf dem Besserwisser-und Almosenprinzip beruht; auf der irrationalen Annahme, die Standards von Industrienationen auf Entwicklungsländer übertragen zu können; auf einer Romantisierung des ursprünglichen Landlebens, der nur verfallen kann, wer noch nie das Elend von Kleinbauern in Afrika erlebt hat - und ein wenig wohl auch auf dem Bedürfnis, stellvertretend für frühere Generationen die Untaten der Kolonialzeit abzubüßen.
Symbolisch aufgeladene Handlungen eignen sich dafür perfekt. Geschäftemacherei verbietet sich hingegen von selbst. Wobei sich die Frage stellt, was -um nur zwei Beispiele zu nennen -mehr bringt: Wenn Europa noch einen Brunnen in einem abgelegenen Dorf graben lässt und ein EU-Schild davor aufstellt? Oder wenn europäische Unternehmen Bodenschätze abbauen (und zwar im Gegensatz zu China unter menschenwürdigen Bedingungen) und dafür eine Infrastruktur errichten, die sowohl den beteiligten Unternehmen als auch der Bevölkerung Mobilität ermöglicht? Existiert diese, wird vieles leichter: Handel treiben. Schulen besuchen. Aber auch: Brunnen bauen.
Klarerweise kann und darf es nicht darum gehen, das in vielerlei Hinsicht brutale Modell Chinas zu kopieren -sondern darum, eine zivilisierte Variante zu entwickeln, von der beide Seiten profitieren können. So gesehen würde es Afrika vermutlich am meisten helfen, wenn die Europäer ein bisschen chinesischer wären.