Martin Staudinger: Geburtenratespiel
Und nun zu etwas ganz anderem. Vergangene Woche machte sich die FPÖ dankenswerterweise darum verdient, einer zwischen Coronavirus und Klimawandel etwas vernachlässigten Gefahr wieder gebührende Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen: dem drohenden Untergang des Abendlandes durch die Paarungsexzesse von Fortpflanzungsextremisten aus fremden Kulturkreisen.
„Wenn wir so weitermachen bei der Zuwanderungspolitik, dann ist das Land für unsere Kinder verloren“, mahnte der FPÖ-Chef bei seiner Aschermittwochsrede in Ried im Innkreis, denn: „Eine Frau in Österreich bekommt im Durchschnitt 1,36 Kinder. Frauen in Österreich aus dem Irak, aus Afghanistan und Syrien bekommen im Schnitt 3,48 Kinder. Das heißt, in zehn, 20, 30 Jahren werden wir unsere wunderbare Heimat Österreich nicht mehr wiedererkennen.“
Das muss natürlich zu denken geben – zumal uns noch immer eine Meldung von Anfang Jänner in den Knochen steckt, derzufolge Muhammed bereits zum beliebtesten Vornamen in drei Wiener Gemeindebezirken geworden ist und stadtweit auf Platz vier liegt.
Vielleicht ahnen Sie bereits, dass die drei vorangegangenen Absätze Spuren von Ironie enthalten haben (man muss das inzwischen ja klar und deutlich ausschildern, um ungewollte Shitstorms zu verhindern).
Lassen wir einmal beiseite, dass der FPÖ in diesem Fall zwei ihrer liebsten Horrorszenarios in die Quere kommen: Das eine handelt von Migrantenpaaren, die sich hemmungslos vermehren; das andere davon, dass ohnehin nur junge Männer ins Land kommen.
Beides gleichzeitig geht sich nicht ganz aus; aber das sind ja nur Details.
Auch Zuwanderer pflanzen sich nicht per Exponentialfunktion fort.
Wobei – erst die ergeben wieder einmal das ganze Bild. Und das sieht so aus: Im Widerspruch zu den Behauptungen der Freiheitlichen pflanzen sich nicht einmal Ausländer per Exponentialfunktion fort. Aus einem (bei der FPÖ immer mitgedacht: muslimischen) Elternpaar mit, sagen wir mal, drei Kindern werden in der nächsten Generation nicht zwangsläufig drei Elternpaare mit wiederum je drei Kindern, die in dritter Generation neun Elternpaare bilden und 27 Kinder hervorbringen, die anschließend 81 Kinder zeugen und so weiter (wem es Spaß macht, der kann das gerne auch mit dem Faktor 3,48 durchrechnen).
Der weltweite Trend ist ein anderer. Zwischen 1970 und 2015 sind – auch in der islamischen Welt – die Geburtenraten markant zurückgegangen. Bekam eine Frau in Saudi-Arabien vor 50 Jahren noch zwischen sieben und acht Kinder, sind es inzwischen 2,5. Im Iran ist die Zahl von sechs bis sieben auf 1,6 gefallen, in der Türkei von mehr als fünf auf knapp 2,14 – was Staatschef Recep Tayyip Erdoğan zu einer Zeugungsoffensive aufrufen ließ: Geburtenkontrolle sei „Verrat“. Die Mahnung zeigt wenig Erfolg. Seither ist die Rate weiter gefallen, auf zuletzt 2,07.
Heute leben 80 Prozent der Menschheit in Ländern mit einer Fertilität von rund zwei Kindern pro Frau, rechnete der verstorbene schwedische Gesundheitsforscher Hans Rosling bereits im Jahr 2012 aus; der globale Schnitt liegt bei 2,4.
Bei den vergleichsweise wenigen Ländern, in denen die Familiengröße immer noch deutlich darüber liegt, macht es keinen großen Unterschied, ob die Bevölkerung fast halbe-halbe muslimisch und christlich ist wie in Nigeria (mehr als fünf Geburten pro Frau); christlich, wie in der Demokratischen Republik Kongo (mehr als sechs); oder muslimisch, wie in Niger (mehr als sieben). Dort sind ganz andere Faktoren bestimmend: etwa Kriege, Armut und eine hohe Kindersterblichkeit, was wiederum dazu führt, dass Eltern aus Vorsorgegründen möglichst viel Nachwuchs wollen.
Norbert Hofer kann jetzt natürlich einwenden, dass Ried im Innkreis weit von Riad in Saudi-Arabien entfernt ist und der Kongo noch weiter von Österreich.
Doch auch hier spiegelt sich die globale Tendenz wider. Denn die Geburtenraten der Zuwanderer steigen nicht, sie bleiben auch nicht gleich, sie sinken vielmehr. 2001 lag die Fertilitätsrate von bekennend muslimischen Frauen in Österreich noch bei 2,7; 2015 bereits bei 2,26. Das zeigen auch die absoluten Zahlen: Obwohl es mehr Mütter mit islamischem Glaubensbekenntnis gibt, bringen sie seit Jahren annähernd gleich viele Kinder zur Welt – weniger als 11.000 sind es bei insgesamt rund 84.000 Geburten in Österreich (2019). Was allerdings signifikant stieg, war die Zahl der Gebärenden ohne Glaubensbekenntnis.
Und der Vorname Muhammed? Liegt nur dann auf Platz vier in Wien, wenn man alle seine Schreibweisen zusammenzählt. Nimmt man die am häufigsten gebräuchliche Version, landet er bereits auf Platz 14, weit hinter Hunderten Alexanders, Davids und Maximilians. Und addiert man sämtliche Muhammeds, Muhamads, Mohamads und wie sie sonst noch buchstabiert werden mögen, heißen laut Statistik Wien immer noch weniger als 1,3 Prozent der neugeborenen Buben des Jahres 2019 in der Bundeshauptstadt so. In Zahlen: 127 von über 10.200.
Es stimmt schon: Der schöne Name Norbert wurde in Wien seit 2011 laut Statistik bloß drei Mal vergeben, Gerwald überhaupt nicht. Bis es so weit ist, dass wir unsere wunderbare Heimat nicht mehr wiedererkennen und Ried in Riad umbenannt wird, wird es aber trotzdem noch etwas dauern.
Und nun vielleicht wirklich zu etwas ganz anderem.