Martin Staudinger: Verteidigt endlich den Islam!
Fast möchte man, bei allem Entsetzen über die Verbrennung des jordanischen Piloten Muath al-Kasasbeh, „Na endlich!“ schreien: Endlich ringt sich die islamische Welt dazu durch, die Terrormiliz IS offiziell zu verurteilen.
„Bösartig“, „teuflisch“ und „verabscheuungswürdig“ nennen höchste Repräsentanten der Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwaits und Bahrains die ultraradikalen Islamisten. Gleichzeitig wird eilig darauf hingewiesen, dass der IS fundamentale Grundsätze der Religion verrate, auf die er sich beruft: „Diese Terrororganisation bekämpft nicht nur uns, sondern den gesamten wahren Islam und seine Werte“, sagt Jordaniens König Abdullah II. Ähnlich äußern sich auch der Iran und Qatar.
Lassen wir einmal beiseite, dass es erst den Tod eines jungen Mannes aus einflussreicher Familie brauchte, um zu dieser Einsicht zu gelangen; dass maßgebliche Theologen das Gotteslästerliche vor allem in der Quälerei durch Feuer erkennen wollten, die ihrer Interpretation nach eigentlich Allah vorbehalten ist – und umgehend danach riefen, die Täter zu kreuzigen oder ihnen die Gliedmaßen abzuhacken; dass der IS monatelang ezidische und christliche Frauen sexuell versklaven, Schwule von Hochhäusern in den Tod stürzen, Gefangenen die Köpfe absäbeln und auch ungezählte Muslime töten konnte, ohne lautstark des Verrats am Glauben geziehen zu werden; und dass Jordanien als Rache gleich einmal zwei Dschihadisten hinrichten ließ.
Trotzdem spricht vieles dafür, jene Stimmen ernst zu nehmen, die dem IS die Schändung der Werte des Islam vorwerfen (selbst wenn die Terrormiliz viele ihrer Untaten unter Berufung auf den Koran und andere Schriften rechtfertigen kann). Wenn man das tut, darf man nämlich auch eine konkrete Forderung an die islamische Staatengemeinschaft daraus ableiten: Bildet eine multinationale muslimische Eingreiftruppe, marschiert im Herrschaftsgebiet des IS ein und macht dem blasphemischen Spuk ein Ende.
Mit einem Satz: Verteidigt endlich den wahren Islam! Staaten, deren Grundgesetze auf einer Religion beruhen, kann man eine Art Gesamtverantwortung dafür nämlich sehr wohl abverlangen (im Gegensatz zu den einzelnen Gläubigen). Absurd? Mitnichten. Die Anti-IS-Koalition unter Führung der USA hat – unter Beteiligung von Jordanien, Saudi-Arabien, Qatar und den Vereinigten Arabischen Emiraten – in den vergangenen vier Monaten mehr als 1800 Luftangriffe geflogen. Der Terrormiliz wurde dadurch gerade einmal ein Prozent ihres Territoriums abgenommen. Und das heißt: Realistischerweise wird es ohne Bodenoffensive nicht gelingen, die Extremisten zu vertreiben.
Niemand kann sich ernsthaft wünschen, westliche Truppen dafür heranzuziehen. Die desaströsen Erfahrungen der vergangenen 15 Jahre zeigen, dass sie – nicht zu Unrecht – als Besatzer gehasst werden. Aber es gibt auf der Welt zwei Dutzend Staaten, die sich entweder selbst als „Islamische Republik“ bezeichnen oder in denen der Anteil der Muslime über 90 Prozent liegt. Viele dieser Länder verfügen über große und kampferprobte Streitkräfte: Saudi-Arabien hat etwa 230.000 Mann unter Waffen, Ägypten 450.000, Pakistan mehr als 600.000. Nimmt man Jordanien, die VAE, den Iran, Marokko, Bangladesch und Indonesien dazu, kommt man auf weit über drei Millionen Soldaten.
Schon klar: Manche davon existieren nur auf dem Papier. Auch klar: Einige der Staaten haben selbst zu viele Probleme, um sich anderswo einzumischen.
Der Organisation für Islamische Zusammenarbeit gehören jedoch gegenwärtig 57 Mitglieder an, der Arabischen Liga 22. Mit entsprechendem Willen müsste es möglich sein, aus ihren Armeen einige zehntausend Soldaten aufzubringen. Allein das Interesse aller Regionalmächte, eine weitere Destabilisierung zu verhindern, spricht dafür. Zudem existiert jetzt, wo der Vorwurf der Gotteslästerung im Raum steht, ein theologisches Argument, um ihre religiös geprägten Gesellschaften von einem Feldzug gegen den IS zu überzeugen.
Am Geld würde es beim Reichtum der Golfstaaten kaum scheitern. An einem robusten Mandat des UN-Sicherheitsrates, das natürlich eine Verpflichtung zur Einhaltung der Genfer Konvention und anderen Völker- und Menschenrechtsabkommen beinhaltet, vermutlich ebenso wenig.
Schwerer zu lösen ist die Frage, wie der syrische Machthaber Bashar al-Assad und sein Verbündeter Iran mit ihrer schiitischen Prägung auf den Aufmarsch einer überwiegend sunnitischen Streitmacht reagieren würden – vor allem im Hinblick auf die Zeit nach dem Einsatz.
Dass es jedoch militärisch möglich ist, ein Land weitgehend von der Herrschaft einer fanatischen und entschlossenen Terrorgruppe zu befreien, beweist die Afrikanische Union (AU) gerade in Somalia. Dort haben 22.000 Soldaten die islamistischen Al-Shabaab-Milizen weitgehend zurückgedrängt – nicht zuletzt, weil die Angehörigen der Interventionstruppe bei der Bevölkerung nicht als fremde Invasoren betrachtet werden. Diesen Vorteil könnte auch eine muslimische Streitmacht im IS-Gebiet in Anspruch nehmen. Der Iran, der längst unilateral eine Bodenoffensive in den schiitischen Gebieten des Irak führt, weiß das. Der IS scheint mit seinen Schandtaten geradezu um eine Intervention zu betteln. So tut ihm doch in Allahs Namen den Gefallen! Ein ehrlicheres Glaubensbekenntnis zum „wahren Islam“ ist kaum denkbar.