Mediamarkt: Medienkritik im Zeitalter der sozialen Netzwerke

In den goldenen Zeiten von Print war Medienkritik ein Luxus, den seriöse Blätter sich leisteten, um die Distanz zum rituell verachteten Boulevard größer erscheinen zu lassen, als sie tatsächlich jemals sein kann.

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In Wahrheit schwang dabei immer auch ein gerüttelt Maß selbstgerechter Verlogenheit mit, denn es liegt im Wesen von Nachrichten, zumal emotional stark aufgeladenen, dass sie eine Eigendynamik entwickeln, die alle Medien gleichermaßen infiziert, die "seriösen" wie die "schmuddligen". Seit jeher ist das Geschäftsmodell der Berichterstattung mit Vorbehalten gegenüber den Methoden von Berichterstattung konfrontiert, doch die klassische Medienkritik hat sich mittlerweile in die sozialen Netzwerke verlagert, wo sie - allerspätestens seit der Germanwings-Tragödie - mit einem Furor tobt, dessen Unstillbarkeit bisweilen fast pathologische Züge trägt. Berufszyniker vom alten Medienschlag wittern darin nichts weiter als die im Internet kanalisierte Rache derer, die als Journalisten aus evidenten Gründen keine Chance hätten. Das ist vielleicht sogar die halbe Wahrheit und genau deshalb höchst verfänglich, weil die andere Hälfte der Wahrheit dabei umstandslos ausgeblendet wird: Reduziert man die geballte Netzerregung um den verkehrsüblichen Overload an Dummheit, Geifer und Ignoranz, bleibt immer noch ein kompakter Kern des kollektiven Unbehagens. Diesem Unbehagen, so hypertroph es oft auch wirken mag, müssen die alten Medien, die seriösen wie die schmuddligen, sich wohl oder übel stellen, wenn sie ihr Geschäftsmodell retten wollen.

Sven   Gächter

Sven Gächter