Italiens Asylpakt

Melonis Mogelpackung

Warum der Flüchtlingsdeal Italiens mit Albanien kein Vorbild ist.

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Italiens weit rechts stehende Regierungschefin Giorgia Meloni hat diese Woche die wohl teuerste Bootsfahrt in der Adria gesponsert. Eine Viertelmillion Euro hat es ihre Marine laut der Zeitung „La Repubblica“ gekostet, um

16 Männer aus Ägypten und Bangladesch auf eine tagelange Reise nach Albanien zu schicken. Auf einem Boot, das Platz für 300 Menschen hätte.

Der Hintergrund: ein Deal, den es in Europa so noch nie gab. Vergangenen November hat Meloni mit Albaniens Ministerpräsidenten Edi Rama einen Migrationspakt unterzeichnet. Italiens Küstenwache soll pro Monat 3000 Bootsflüchtlinge nach Shëngjin bringen, einen kleinen Industriehafen im Norden des Balkanlandes. Dort sollen sie im Schnellverfahren ihr Asylverfahren durchlaufen. Auf exterritorialem Gebiet, wo italienische Jurisdiktion gilt. Wer grünes Licht bekommt, soll nach Italien dürfen. Die Abgewiesenen müssen in ihre Herkunftsländer rückgeführt werden. Meloni kündigte an, bis zu 36.000 Menschen pro Jahr nach Albanien schicken zu wollen.

So weit die Theorie auf dem Papier.

Diese Woche wurde der Deal erstmals in die Praxis umgesetzt, und das nicht zufällig einen Tag vor dem EU-Gipfel am Donnerstag. Obwohl erst im Frühjahr eine gemeinsame EU-Asylreform verabschiedet wurde, setzen eine

Reihe von Mitgliedsländern längst wieder auf nationale Alleingänge.

Finnland hat seine Grenze zu Russland geschlossen. Polen will das Asylrecht aussetzen, die Niederlande Geflüchtete nach Uganda ausfliegen. Deutschland hat Grenzkontrollen eingeführt und damit Schengen, also den freien Personenverkehr, ausgesetzt.

Die EU war noch nie weiter von einer gemeinsamen Migrationspolitik entfernt als heute. Dabei ist das gemeinsame Ziel klar: Das Sterben im Mittelmeer muss beendet, Schleppern das Handwerk gelegt und irreguläre Migration reduziert werden.

Doch anstatt jene, die abgewiesen wurden, konsequent zurückzuführen, und jene, die Anspruch auf Asyl haben, fair auf alle Mitgliedsländer zu verteilen, ist eine hektische Suche nach dem einen Allheilmittel ausgebrochen.

Warum sollte Albanien etwas schaffen, an dem EU-Mitgliedsländer seit Jahren scheitern? 

Melonis Deal ist eine Mogelpackung. Er wird Italien eine Milliarde Euro kosten, dabei aber sein Hauptziel verfehlen: die Abschreckung. Menschen, die sich an Libyens Küste in Boote setzen, obwohl das lebensgefährlich ist, überlegen es sich nicht anders, bloß weil sie eventuell für ein paar Wochen in ein nigelnagelneues Container-Dorf auf dem Balkan kommen.

Der logistische Aufwand steht in keiner Relation. Die 16 Bootsflüchtlinge waren vor Libyens Küste aufgegriffen worden. Anstatt sie nach Sizilien oder Lampedusa zu bringen, verschifft man sie Hunderte Kilometer weiter nördlich in ein Land ohne geeignete Infrastruktur. Italiens Lager steht in einem Dorf im Hinterland, aus dem die Bevölkerung selbst flieht, weil es an allem fehlt: Jobs, Sozialstaat, Müllentsorgung, öffentlicher Verkehr. Jetzt hat Italien dort Millionen investiert, um Europa mit einem Experiment an der Nase herumzuführen.

Warum sollte Albanien etwas schaffen, an dem EU-Mitgliedsländer seit Jahren scheitern? Rückführungen funktionieren nur dann, wenn die Herkunftsländer kooperieren. Tirana wird das genauso wenig hinbekommen wie Rom.

Dazu kommt: Der Auswahlprozess auf hoher See ist eine gewaltige Herausforderung. Das zeigt sich bereits jetzt. Vier der 16 Migranten, die vergangene Woche in Albanien ankamen, mussten das Land bereits wieder gen Italien verlassen. Zwei, weil sie minderjährig waren, und zwei, weil sie gesundheitliche Probleme hatten.

Die restlichen 14 sind nur vorübergehend auf dem Balkan. Wer Asyl bekommt, darf nach Italien. Der Rest – und das ist der Trugschluss – aber auch. Scheitern die Rückführungen, muss Italien auch die Abgewiesenen nehmen.

Am Ende kommen also alle irgendwann dort an, wo sie ursprünglich hinwollten. Meloni hat trotzdem gewonnen, weil alle Augen auf ihre vermeintliche Lösung gerichtet sind.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.