Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Der Abschied des Revolutionärs

Der Abschied des Revolutionärs

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Ab September hat die in meinen Augen beste Tageszeitung des Landes, „Die Presse“, einen neuen Chefredakteur: Rainer Nowak ist ein brillanter Kommentator, ein unabhängiger Geist und hat sich als Chef der „Presse am Sonntag“ auch als hervorragender Blattmacher erwiesen. Aber Michael Fleischhacker, den er als Chefredakteur ablöst, war ebenfalls ein brillanter Kommentator, unabhängiger Geist und hervorragender Blattmacher. Die „Presse“ ist um ihn ärmer geworden. Und er hat Historisches geschafft: Erst unter Fleisch­hackers Ägide wurde die „Presse“ von einer recht guten zu einer auch wirklich unabhängigen Zeitung. Seit Jahren können dort nicht nur brillante Kommentare zum allgemeinen politischen Geschehen, sondern – vor allem aus der Feder Rainer Nowaks – auch zum Niedergang der ÖVP erscheinen.

Nicht nur zur ÖVP, auch zu „Vergangenheit“ und zur FPÖ hat die „Presse“ in Fleischhackers Ära ein neues Verhältnis gewonnen: „Nationales“ ist ihr so zuwider wie dem „Standard“ oder profil. Gleichzeitig ist sie von einer bloß wirtschaftsliberalen zu einer auch gesellschaftlich liberalen Zeitung geworden, die etwa die Homo-Ehe längst nicht mehr als Beitrag zum Untergang des Abendlands wertet.

Ich weiß keinen anderen Chefredakteur, der im vergangenen Jahrzehnt mehr revolutioniert hätte: Aus einer Zeitung, die man eigentlich nur ab fünfzig und als Mitglied der ÖVP und der FPÖ zustimmend lesen konnte, hat Fleisch­hacker eine gemacht, die ich und meine Kinder, die wir alle­samt Wechselwähler sind, am liebsten lesen.

Wo sie heute für die ÖVP eintritt, glaube ich, dass die ÖVP Recht hat, nicht, dass die „Presse“ ihr nahesteht.

Dergleichen muss sich erst durchsprechen. Noch in den ersten Fleischhacker-Jahren war ich in Bezug auf Österreich ein reiner „Standard“-Leser (sofern ich nicht zufällig im Kaffeehaus zu den „Salzburger Nachrichten“ greifen konnte): Ich traute der „Presse“ wirkliche Unparteilichkeit nicht zu. Aber irgendwann registrierte ich, dass mich die fundierten „Presse“-Berichte zur Innenpolitik einfach mehr interessierten, während manche „Standard“-Schwächen mich zunehmend irritierten: die besonders vielen Rechtschreibfehler, die geringere Präzision bei der Darstellung gesetzlicher Problematiken, die – trotz des hervorragenden Eric Frey – so viel dünnere Wirtschaftsberichterstattung. Und nicht zuletzt eine Schwäche, die davon herrührte, dass Oscar Bronner den „Standard“ nach dem Muster der Weltblätter der siebziger Jahre konzipiert hatte: Alle wichtigen Storys werden auf der Titelseite angerissen und weiter hinten breiter ausgeführt. Nur dass „FAZ“ oder „NYT“ hinten wirklich mehr Informationen bieten, während der „Standard“ nur das, was vorn steht, wortreicher wiederholt.

Fleischhacker konzipierte die „Presse“ für eine Gegenwart, in der man die „News“ sowieso dem Internet entnimmt: Die erste Seite ist völlig der optimalen Aufbereitung der wichtigsten Story gewidmet und wird auf der zweiten durch einen durchwegs brillanten, großen Kommentar ergänzt.

Den „Standard“ lese ich weiterhin im Internet: Dort ist er die beste Zeitung des Landes und nicht zufällig dessen wichtigstes Diskussionsforum. Auch die „Kommentare der anderen“ – neben Hans Rauschers Kästchen meine liebste „Standard“-Lektüre – lese ich dort und nutze die zahllosen Zugänge zu weiterführendem Material. Sein Internetauftritt ist – neben dem rosa Papier als sichtbarem Akademiker-Ausweis – der entscheidende Grund dafür, dass der „Standard“ in der Media-Analyse die höheren Leserzahlen ausweist, obwohl er nicht mehr Exemplare als die „Presse“ verkauft.

In Österreich (und nur hier) sind die Media-Zahlen nach wie vor ungleich wichtiger als die Verkaufszahlen, wenn Inserate vergeben werden – und vom Inseraten-, nicht vom Vertriebserlös lebt eine Zeitung. In diesem Bereich hat Oscar Bronner als Geschäftsführer das mediale Konzept der Zukunft als Erster erkannt und umgesetzt. Wäre ich an Bronners Stelle, ich engagierte Fleischhacker, um auch spannende Leitartikel zu haben.

Die „Presse“ hat zum neuen Chefredakteur auch einen neuen Geschäftsführer erhalten. Es geht also ums Geschäft. Das ist für jede österreichische Qualitätszeitung unendlich schwierig: Eine erstklassige Tageszeitung (etwa die „FAZ“) braucht an die 400 Mitarbeiter – die sie sich bei uns nie leisten kann. Denn österreichische Vertriebserlöse betragen höchstens ein Zehntel der deutschen und die Inseraten­erlöse nicht einmal das.

Der Styria-Verlag hat dennoch zur „Presse“ das tägliche „WirtschaftsBlatt“ erworben. Das war todesmutig, denn bei acht Millionen wirtschaftsfernen Einwohnern kann dieses Blatt mit seiner eingeschränkten Thematik kaum zu Leserzahlen gelangen, die Inserenten überzeugen.

Ich habe daher erwartet, dass das „WirtschaftsBlatt“ irgendwann in der „Presse“ aufgeht und deren Wirtschaftsteil noch stärker macht. Stattdessen soll ein gemeinsamer Redaktionspool weiterhin getrennten Zeitungen Kosten sparen.

Ich hätte diesem Konzept als Chefredakteur so wenig vertraut wie wahrscheinlich Michael Fleischhacker.

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