Michael Nikbakhsh: Zahlen heißt nicht kaufen
Wir müssen reden, dringend sogar. Wir müssen über Parteien- und Politikerfinanzierung reden und darüber, ob Staatsanwälte die richtigen Instrumente an der Hand haben, um bestechliche Politiker vor Gericht zu bringen. Haben sie nämlich nicht. Und das ist ein ernstes Problem.
Defizit Nummer eins: Das österreichische Strafrecht kennt den Tatbestand der „illegalen Parteienfinanzierung“ nicht. Das Verschweigen von Spendern und Spenden ist ein reines Verwaltungsdelikt, geregelt im schwachen Parteiengesetz, das nur Geldstrafen vorsieht. Diese sind mittlerweile zwar nicht mehr ganz so lächerlich niedrig wie früher, aber kein Parteifunktionär muss die Anklagebank fürchten, nur weil er Spendenmillionen am Rechnungshof vorbeihortet.
Defizit Nummer zwei: Das österreichische Strafgesetzbuch kennt zwar spätestens seit dem Korruptionsstrafrechtsänderungsgesetz 2012 eine Vielzahl strafbarer Spielarten, es schwächelt aber an entscheidenden Stellen – nämlich dort, wo es um zentrale Begriffsbestimmungen wie „Amtsträger“ und „Amtsgeschäft“ geht. Amtsträger im gesetzlichen Sinne sind unter anderem Beamte und Abgeordnete; reine Parteifunktionäre und einfache -Mitglieder sind es nicht. Amtsgeschäfte wiederum sind „Verrichtungen“, die im Wirkungsbereich der Amtsträger liegen. Im Falle von Abgeordneten sind das zum Beispiel Abstimmungen, Initiativen, Anträge oder Anfragen. Die Entgegennahme einer Parteispende hingegen ist für sich genommen kein Amtsgeschäft, selbst wenn sie durch einen Amtsträger erfolgt. Klingt kompliziert, ist es auch – und lässt absurde Ausprägungen zu.
Wussten Sie zum Beispiel, dass der Kauf eines Nationalratsmandats in Österreich eine im strafrechtlichen Sinne völlig legale Sache ist? Jeder, und sei er noch so dubios, kann zu einer Partei gehen, ein paar Millionen lockermachen und dafür einen wählbaren Listeplatz erstehen. Warum? Die Erstellung einer Wahlliste ist kein Amtsgeschäft im Sinne des Strafgesetzbuches – daher kann auch keine Bestechung oder Bestechlichkeit vorliegen, daher schaut auch kein Staatsanwalt hin. Das sagen nicht wir, das sagt die Wiener Korruptionsstaatsanwaltschaft selbst. (Lesen Sie dazu auch unseren Bericht zu den eingestellten Ermittlungen gegen den ehemaligen FPÖ-Abgeordneten Thomas Schellenbacher.)
Ein weiteres Beispiel: Die Korruptionsstaatsanwaltschaft wird Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus nicht wegen Bestechlichkeit („Vorteilsannahme zur Beeinflussung“) in Zusammenhang mit deren Avancen vor versteckter Kamera in Ibiza 2017 verfolgen. Mag zwar sein, dass sie einer vermeintlichen Oligarchennichte staatliche Bauaufträge gegen verdeckte Parteispenden in Aussicht gestellt haben; mag auch sein, dass Strache (als Nationalratsabgeordneter) und Gudenus (als Wiener Vizebürgermeister) zu diesem Zeitpunkt Amtsträger waren. Bloß: Aus Sicht der StA konnte keiner der beiden damals (und später) auch nur theoretisch staatliche Bauaufträge vergeben, es fehlte also an der erforderlichen Amtsgeschäftsbefugnis.
Daher: kein Tatverdacht. (Ermittlungen gegen die beiden wegen vermuteter Untreue laufen weiter, man wird sehen, wo diese hinführen.)
Die Staatsanwaltschaft selbst hat vergangene Woche darauf hingewiesen, dass hier womöglich eine Lücke im Gesetz besteht, die nicht im Sinne des Erfinders sein kann (oder vielleicht doch?). Denn: Hätte der Nationalratsabgeordnete Strache der Oligarchennichte vor laufender Kamera nicht Autobahnaufträge, sondern beispielsweise wohlmeinende Gesetzesinitiativen in Aussicht gestellt, wäre die strafrechtliche Würdigung sehr wahrscheinlich eine andere gewesen.
Kann das wirklich sein? Kann es im Interesse des Gesetzgebers sein, dass Politiker sich straffrei anfüttern lassen, solange sie nur Dinge zusagen, die sie dann eh nicht einlösen können? Kann es sein, dass es einen Unterschied macht, ob Politiker sich Vorteile als Abgeordnete oder einfache Parteimitglieder versprechen lassen? Und ist es wirklich gewollt, dass Parteien Nationalratsmandate legal an den Höchstbietenden verticken dürften, wenn sie denn wollten?
Womit wir beim Dilemma wären: den Nationalratsabgeordneten selbst, die ja ein zentrales Element der Gesetzgebung sind. An ihnen liegt es, die gesetzlichen Unschärfen und Insuffizienzen zu beseitigen und den Staatsanwaltschaften ein funktionstüchtiges Korruptionsstrafrecht in die Hände zu legen. Kann man von Politikern verlangen, dass sie Gesetze schaffen, die sich dann maßgeblich gegen sie selbst richten? Man kann. Man muss.
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