Meinung

Monstergott: Müssen wir der Gewalt gegen Frauen ohnmächtig zusehen?

Die Zivilgesellschaft protestiert. Die Diplomatie protestiert. Und am Ende geht es um Handelsverträge.

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Diese herzzerreißenden Bilder. Links die schöne junge Frau, gerade einmal 22 Jahre, das blühende Leben. Rechts ihr bewusstloser Körper in einem Spitalsbett, sie hängt an einem Sauerstoffschlauch, kurz danach wird sie, man weiß es, sterben.


„Sagt nicht, Mahsa Amini ist gestorben, sie wurde ermordet!“, schrieben, flehten, forderten Iranerinnen auf Twitter, bevor ihnen das Internet von der Regierung abgedreht wurde. 
Diese aufwühlenden, bewegenden Videos. Junge Frauen, die als Protest ihre Kopftücher herunterreißen und in ein Straßenfeuer werfen, triumphierend, zaghaft, entschlossen – und man weiß, für diese mutige Tat werden sie vielleicht gleich niedergeknüppelt, abtransportiert, ins Gefängnis geworfen. Was für eine perverse Welt, in der es Todesmut erfordert, sich von einem Stück Stoff zu befreien, wenn man eine Frau ist. Was für ein Staat, in dem eine Frau zu Tode geprügelt wird, weil selbsternannte Wächter willkürlich definierter Sitten missbilligen, dass sie ihre Haare nicht vollständig bedeckt hat. Ein anderes Video, diesmal aus Kabul. Polizisten auf der Straße gehen plötzlich auf eine Frau zu und treiben sie ein Stück mit Peitschenhieben vor sich her. Einfach so. Dann halten sie nach einem nächsten Opfer Ausschau. Einfach so.

Diese selbstverständliche weltweite Gewalt gegen Frauen. Und die Ohnmacht, mit der wir zusehen. Ja, es gibt Demos und Solidaritätskundgebungen. Die Zivilgesellschaft ballt die Fäustchen, die perversen Machthaber lachen sich unbeschadet in die ihren. Nein, falsches Bild. Die lachen nicht, denen ist das total egal. Aber wo bleiben Reaktionen, die ihnen möglicherweise weniger wurscht sind, diplomatische, die scharfen Protestnoten – oder was immer man in einem solchen Fall versendet – der westlichen Regierungen? Es gibt sie. Schon. Irgendwie. Die EU hat eine offizielle Erklärung losgelassen, in der dem Iran streng nahegelegt wird, die inzwischen landesweiten Proteste nach dem Tod Mahsa Aminis nicht mehr gewaltsam zu unterdrücken und die Versammlungsfreiheit zu achten. Einzelne Staatschefs fanden missbilligende Worte, so zum Beispiel Emanuel Macron bei seinem Zusammentreffen mit dem iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi in New York. Auch das österreichische Außenministerium hat mittlerweile protestiert. Es gibt Sanktionen gegen Afghanistan, die unter anderem auch mit der Behandlung der Frauen dort begründet werden, was aber nichts daran ändert, dass afghanische Mädchen weiterhin daheim eingesperrt werden, statt zur Schule gehen zu dürfen. 

Die offizielle Politik legt einen ständigen Eiertanz hin, man ist gegen die Unterdrückung von Frauen, eh klar, aber auch, nein, noch mehr für Öllieferungen, Handelsabkommen, Schürfrechte, die Zustimmung zu heiklen Verträgen, da müssen sich die Menschenrechte schon öfter einmal hinten anstellen und speziell die Frauenrechte noch einmal dahinter. Im Endeffekt kann jeder Staat souverän für sich entscheiden, ob die Menschenrechte von Frauen oder gleich die Frauen selber mit Füßen getreten werden, es passiert nicht viel, egal, wie er sich entscheidet. 

Was stellen wir uns denn aber auch vor? Dass man wegen Frauenrechten ernste diplomatische Verstimmungen riskiert und wirtschaftliche Nachteile? Oh ja, es wurden auch schon Kriege wegen Frauen geführt, aber da ging es darum, wer sie besitzen durfte und nicht darum, was sie dürfen sollten. Da ging es sozusagen um die Schürfrechte an einer Frau und nicht um ihre Rechte. Kleiner Unterschied. 

Im Endeffekt kann jeder Staat souverän für sich entscheiden, ob die Menschenrechte von Frauen oder gleich die Frauen selber mit Füßen getreten werden, es passiert nicht viel, egal, wie er sich entscheidet. 

Nein, damit das klar ist, wir wollen natürlich keinen Krieg, wir wollen nur nicht mehr bekriegt werden, nirgendwo. Ganz einfach.  Aber, nicht zuletzt: die Religion. Gottes Wille. Muss befolgt werden. Und wenn welche glauben, sie befolgen Gottes Willen damit, dass sie Frauen mit Füßen treten, dann ist das bedauerlich in den Augen derer, die es nicht glauben, aber zu akzeptieren. Weltweit eint Gläubige ihr Vertrauen in Götter, die ihnen auferlegen, Frauen als Menschen minderer Qualität zu behandeln. Herrgott! Es gibt keinen Gott, der verlangt, dass Frauen ihre Köpfe mit Tüchern umwickeln und ihre Körper in sengender Hitze mit schwarzem Stoff bedecken. Es gibt keinen Gott, der verbietet, dass sie sich frei bewegen und laut lachen oder tanzen und singen, wenn ihnen danach ist. Es gibt keinen Gott, der befiehlt, dass sie sich Männern unterordnen und sie bedienen müssen. Es gibt keinen Gott, der ihnen zumutet, jede Schwangerschaft auszutragen, egal, was das für ihr Leben bedeutet, und sogar das Kind eines Vergewaltigers anzunehmen und mütterlich zu lieben. Es gibt keinen Gott, der Männern das Recht gibt, Frauen zu misshandeln.

Womöglich gibt es überhaupt keinen Gott, aber wenn es einen gibt, dann ist er nicht das Monster, als das er dargestellt wird. Dieses Monster gibt es nur in den Köpfen machtbesessener Männer und in Frauenköpfen, die von machtbesessenen Männern dominiert werden. Politiker und Politikerinnen müssen an diesen Monstergott nicht glauben. Sie müssen nicht einmal so tun, als glaubten sie an ihn, egal, was ihr Gegenüber glaubt. Eine gute Verhandlungsbasis, sollte man meinen.