Leitartikel

Nach der Wahl ist vor dem Sparpaket

„Koste es, was es wolle“ kam teuer, im Staatshaushalt fehlen Milliarden. Fröhlich Wohltaten ohne jede Gegenfinanzierung zu versprechen, wird daran nichts ändern.

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Es gibt derzeit zwei völlig unterschiedliche Welten in Österreich.

In der einen Welt, da leben die wahlkämpfenden Parteien. Ihre Spitzenkandidaten tingeln zu Fernsehkonfrontationen, Kirtagen und Funktionärstreffen und versprechen dort vollmundig alles, was gut und teuer ist: Wohnbaumilliarde. Großelternkarenz. Steuersenkungen. Gratisimpfungen. Vollzeitbonus. Weniger Abgaben. Keine Steuern auf Überstunden. Unbeschwert werden allerlei Wohltaten angepriesen, frei nach dem Motto: Wer bietet mehr? Klingt alles nachgerade paradiesisch – und fast so, als ob die allerdringendste Aufgabe in Österreich darin bestehe, endlich die enormen angehäuften Budget-Geldberge zu verteilen.

In der anderen Welt, da leben die Wirtschaftsforscher und Zahlenexperten, vom Fiskalrat, vom Institut für Höhere Studien, vom WIFO. Sie buhlen nicht um Stimmen und rittern nicht ums Kanzleramt, wissen aber knochentrockene Statistiken und Staatsschuldenkolonnen zu deuten. Und runzeln allesamt zusehends besorgt die Stirn und mahnen: Im Staatshaushalt fehlen Milliarden, die allererste Handlung der nächsten Regierung muss sein, das Defizit einzudämmen. Also entweder ein Sparpaket zu schnüren – oder neue Einnahmequellen zu finden. Oder beides.

Bei welcher der beiden Welten es sich um ein Paralleluniversum aus schönen bunten Luftballons und Voodoo-Ökonomie handelt, ist für alle leicht durchschaubar, die simple Grundrechnungsarten beherrschen. Mit Türkis-Grün regierte auch das Prinzip „Koste es, was es wolle“. Per Gießkanne wurde von Coronahilfen bis zum Handwerkerbonus üppig verteilt, gleichzeitig Steuern gesenkt. Das Resultat: Steigende Staatsschulden, im Budget klafft eine Lücke, zu tief, um heuer und nächstes Jahr die EU-Maastricht-Kriterien zu erfüllen. Jene strengen Regeln, auf die Österreich übrigens selbst gedrängt hat – aber Budgetsünder sind ja immer die anderen.

Schlimmer noch: Viele Wirtschaftsdaten weisen eindeutig in eine Richtung – und zwar in die falsche. Die Arbeitslosigkeit steigt deutlich, sie kletterte im August um zehn Prozent nach oben, in der Industrie überhaupt um drastische 17 Prozent. Die Wirtschaft steckt hartnäckig weiter in der Rezession, zum fünften Mal in Folge ging das reale Bruttoinlandsprodukt zurück, beim Wachstum dümpelt Österreich anderen EU-Staaten hinterher.

Noch Fragen, warum die Wirtschaftsforscher immer lautstarker darauf drängen, nicht unfinanzierbare Wahlzuckerl zu versprechen, die nur für veritable Magenverstimmung nach der Wahl sorgen?

Die Inflation ist gesunken, liegt aber immer noch über dem Schnitt der Euro-Staaten. Und in den ersten sieben Monaten des Jahres 2024 machte der Bund 15,8 Milliarden Euro neue Schulden. Noch Fragen, warum die Wirtschaftsforscher immer lautstarker darauf drängen, die Zeiten der Voodoo-Ökonomie zu beenden und nicht unfinanzierbare Wahlzuckerl zu versprechen, die nur für veritable Magenverstimmung nach der Wahl sorgen?

Denn, keine Frage: Etliche Wahlversprechen sind gute und sinnvolle Maßnahmen, die dem Land durchaus guttäten. Nur: Die Finanzierung ist bisher mehr als wackelig, nur die NEOS wagen den unpopulären Realismus, nach Kassasturz und Sanierung zu rufen. Die ÖVP hingegen setzt eher auf das Prinzip Hoffnung, konkret auf stärkeres Wirtschaftswachstum und Kürzungen bei Förderungen. Mehr Wachstum würde zwar keineswegs schaden – aber ob es sich wirklich quasi wie von Zauberhand einstellt?

Bei Förderungen hat Fördereuropameister Österreich sicher Luft, satte 37 Milliarden Euro gab allein der Bund zuletzt für Förderungen aus, mit 8,7 Prozent der Wirtschaftsleistung deutlich mehr als der EU-Durchschnitt, der bei 6,7 Prozent liegt. Von A wie Alarmanlagen bis Z wie Zuschuss für Zuchtrinder wird jede Lebenslage finanziell aufgebuttert, zusätzlich zum Bund erweisen sich auch die Bundesländer als überaus großzügig. Beileibe nicht jede Zulage für Eierspeisfeste oder Anti-Atom-Aktivitäten scheint unverzichtbar, im Gegenteil. Aber: Schon Sebastian Kurz versprach 2017 deutlich Einschnitte beim Finanzbrocken Förderungen. Seither wurden die Fördermilliarden um satte 70 Prozent ausgeweitet, bei zumindest der Hälfte dieses Anstiegs taugt weder Corona noch eine sonstige Krise als Ausrede. So viel zu Kürzungsversprechen – die leicht vage angekündigt, allerdings nicht ganz so locker umgesetzt werden können.

Noch alle Politiker haben lieber Geld verteilt als saniert, im Wahlkampf sowieso. Ein bisschen mehr Kostenwahrheit wäre den Wählerinnen und Wählern aber sogar in den Zeiten „fokussierter Unintelligenz“, wie Wahlkampf seit Wuchtelschleuder und Bürgermeister Michael Häupl heißt, zumutbar. Eine Serie von unerfüllten Wahlversprechen facht nur die ohnehin hohe Politikverdrossenheit weiter an. Außerdem wäre ein wenig finanzieller Spielraum mehr als sinnvoll, um den schwächelnden Wirtschaftsstandort aufzurichten und Personalengpässe und sonstige Probleme im Bildungs- und Gesundheitssystem wirkungsvoll zu bekämpfen.

Wirtschaft und Budget werden zusehends Wahlkampfthemen. Gut so. Fehlt nur noch eine seriösere Diskussion darüber.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin