Neue Regierung: Der Anti-Kickl-Kitt ist dünn
Schluss mit Couch-Potato, ab jetzt regelmäßig Sport! Weg mit den Zigaretten und dem Alkohol! So lauten die Top 3 der guten Neujahrsvorsätze. Ein Großteil davon ist zwei Monate später längst vergessen – weil es verflixt schwer ist, mit schlechten Gewohnheiten aufzuhören, wenn der erste Eifer verpufft ist.
In der Politik läuft es ähnlich. Voll guter Absichten und aufgeladen mit hehren Plänen startete das Experiment Dreierkoalition seinen zweiten Anlauf: Kein pitzeliges Klein-Klein! Absage an Minimalkompromisse! Staatsinteresse vor kleingeistigem Parteiinteresse! Wechselseitige Animositäten überwinden! Immer nach dem Motto: Die Operation Brandmauer darf nicht erneut kläglich scheitern.
Kurz: Der gute Wille war vorhanden, und zwar ehrlich, nicht bloß als aufgesetzte Pose. Zu tief saß das Entsetzen über die radikalen Umbaupläne von Beinahe-Kanzler Herbert Kickl und dessen FPÖ. Hauptsache, Kickl verhindern – das schweißte ÖVP, SPÖ und Neos zusammen. Dieser Anti-Kickl-Kitt hielt allerdings nicht lange.
Ein Beitrag gegen Politikverdrossenheit schaut anders aus. Ein Rückfall in die schlechteste aus allen Welten, jene des blanken Machterhalts, ohne sich mit Inhalten zu belasten.
Schon im Verhandlungsfinale klangen manch gute Vorsätze bloß wie schales Geschwätz von gestern: Statt um schillernde Leuchtturmprojekte ging es ungustiös um Pöstchen. Bei den Neos, eigentlich als hipper Koalitionswind gedacht, rangelten in Uraltmanier der verhaltensoriginelle Flügelheber Matthias Strolz und der Pragmatiker Christoph Wiederkehr ums Bildungsministerium. Und in der SPÖ, früher bekannt für Disziplin, matchen sich die verfeindeten Parteiflügel auf offener Bühne. Ein Beitrag gegen Politikverdrossenheit schaut anders aus.
Dieser Rückfall in die schlechteste aus allen Welten, jene des blanken Machterhalts, ohne sich mit Inhalten zu belasten, zeigt, wie porös der Herbert-Kickl-Kitt sein kann. Auch beim Publikum: Bei demjenigen Teil des Wahlvolks, der sich am Tag 150 der Endlosserie „Österreich sucht eine Regierung“ nicht längst mit Grauen abgewandt hatte, begann die Erleichterung über die Dreierkoalition zu verblassen. Nur die FPÖ verhindert zu haben, das reicht nicht. Der Bonus ist schnell verspielt.
Dabei hat sich das Experiment ÖVP-SPÖ-Neos-Regierung durchaus eine Chance verdient. Die Präsentation des Regierungsprogramms geriet harmonisch, alle drei Parteispitzen hatten ihre guten Vorsätze zu Kompromiss und Kooperation wieder parat und trugen sie vollmundig vor. Der Koalitionspakt enthält allerhand Sinnvolles, vom zweiten verpflichtenden Kindergartenjahr bis zur Bundesstaatsanwaltschaft, heikle Themen wie Pensionen werden angepackt, in gemächlichem Tempo, aber immerhin. Bei manch Großprojekten wie der Lohnnebenkostensenkung regiert das Prinzip Hoffnung (konkret: der Budgetvorbehalt). Pläne wie „Deregulierung“ oder „Durchforsten der Förderungen“ sind verdienstvoll, aber ohnehin Dauerbrenner in Regierungsprogrammen. Bei Asyl und Integration zeigt man Härte, Maßnahmen wie Inflationsbekämpfung oder Leistungsgerechtigkeit stehen und fallen damit, welche Details den Überschriften folgen.
Kurz: Ein solider Koalitionspakt, getragen von Ernsthaftigkeit und Kompromisswillen – wer aber darin nach Mut oder Visionen sucht, wird wenig fündig. Aber immerhin: Der Pakt stellt eine stabile Startbasis dar, mehr aber auch nicht.
Ihre 100-Tage-Schonfrist hat die Dreierkoalition schon während der zwei Phasen ihrer Verhandlungen verbraucht, jetzt sollte sie rasch ins Arbeiten kommen. Lohnende Betätigungsfelder gibt es mehr als ausreichend: Budgetdefizit. Hartnäckige Wirtschaftsflaute. Teuerung. Integration. Und den Berserker und US-Präsidenten Donald Trump, der in atemberaubendem Tempo Europa und dessen Werte attackiert und unterminiert. Wie und mit welcher Sicherheitsarchitektur reagiert Österreich darauf, wie positioniert es sich zu Zolldrohungen, zu Ukraine, Russland, NATO? Allesamt entscheidende Herausforderungen.
Antworten werden dem schwarz-rot-pinken Dreierbündnis nur gelingen, wenn es seine guten Vorsätze aufrechterhält und nicht in schlechte Hickhack-Routinen zurückfällt – sondern seriös und vor allem gemeinsam regiert. Sonst sind Herbert Kickl und die FPÖ schnell zurück im Zentrum der Innenpolitik.