Meinung

Neue Weltordnung: Was wollt ihr, Brics?

Der Globale Süden will sich von der westlichen Weltordnung emanzipieren. Ein Einwand dagegen.

Drucken

Schriftgröße

Achtung! Dieser Kommentar kann Spuren westlicher Arroganz enthalten. Gleichzeitig aber stellt er einen redlichen Versuch dar, nicht in diese Falle zu tappen.

Es geht um den Globalen Süden und um eine neue Weltordnung.

Die Repräsentanten der Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika), die sich vergangene Woche in Südafrika getroffen haben, sind sich in einigen Punkten einig: Die Vorherrschaft des Westens muss gebrochen werden; die Treffen der G7 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada, USA – und die EU) dürfen nicht länger die Geopolitik vorgeben; die Staaten des – ökonomisch unterprivilegierten – Globalen Südens müssen mehr Mitsprache bekommen, und es braucht eine Alternative zur bisherigen, westlich dominierten, liberalen Weltordnung.

Klingt das nach mehr Gerechtigkeit und nach einem prinzipiell unterstützenswerten Plan? Ich fürchte, diese Frage verlangt nach einer Gegenfrage: Wie soll die alternative Weltordnung denn aussehen?

So etwas wie eine Charta, eine Wertegrundlage der Brics existiert nicht.

Es beginnt recht harmlos. Die Gruppe der bisherigen Brics-Staaten, die jetzt neu aufgenommenen Mitglieder (Iran, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Argentinien, Ägypten und Äthiopien) und mehr als 30 weitere Staaten, die sich um eine Mitgliedschaft bewerben, streben vor allem nach besseren Wirtschaftsbeziehungen untereinander, sie haben eine gemeinsame Entwicklungsbank gegründet, und sie wollen ihren Positionen in globalen Fragen wie dem Klimawandel, dem Schuldenerlass oder der Pandemie-Bekämpfung mehr Gewicht verschaffen. So weit, so gut.

Die nächsten Schritte sollen die Brics-Staaten vom übermächtigen Einfluss der USA befreien: Sie wollen eine gemeinsame Alternative zum internationalen, in der EU ansässigen Finanztransaktionssystem Swift etablieren und eine Leitwährung einführen, die sie vom US-Dollar unabhängig macht. Warum? Die USA (und mit ihnen der Westen) nutzen ihren Einfluss auf das Swift-System dazu, um Sanktionen zu verhängen. So wurden etwa iranische Banken wegen des Atomprogramms des Teheraner Regimes vom Swift-System ausgeschlossen, und russische Banken ereilte nach Putins Überfall auf die Ukraine dasselbe Schicksal.

Im Wesentlichen also wollen die Brics-Staaten dem Westen, wo immer es geht, die Möglichkeit nehmen, Sanktionen zu verhängen. Geht man die Liste ihrer Mitglieder noch einmal aufmerksam durch, ergibt das durchaus Sinn. Russland, Iran, China …

So etwas wie eine Charta, eine Wertegrundlage der Brics existiert hingegen nicht. Daraus folgt, dass die westliche, liberale Weltordnung, die auf den Prinzipien des Völkerrechts, der Demokratie und der Menschenrechte basiert, durch eine Weltordnung abgelöst werden soll, die nicht wertebasiert ist.

Es ist mehr als eine Anekdote, dass es die Brics-Gastgeber ablehnten, Frankreichs Staatspräsidenten Emmanuel Macron beim Gipfel in Südafrika teilnehmen zu lassen. Unausgesprochene Begründung: Ein Repräsentant einer ehemaligen Kolonialmacht und eines westlichen Industriestaates ist unerwünscht. Willkommen war hingegen Russlands Außenminister Sergej Lawrow, dessen Land aktuell einen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt.

Für die Teilnahme an der Gruppe der Brics spielt es keine Rolle, ob ein Staat demokratisch oder autoritär geführt wird, ob er Angriffskriege führt, ob er Menschenrechte mit Füßen tritt. Niemand verlangte von Russland Aufklärung über die Hintergründe des Flugzeugabsturzes, bei dem Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin und neun weitere Menschen am vergangenen Mittwoch getötet wurden. Es gilt das Prinzip der Nicht-einmischung. Die Weltordnung, die daraus abgeleitet werden kann, funktioniert ähnlich: ohne verbindliche, universelle Regeln, sondern auf Basis von Ad-hoc-Allianzen. Man nennt dies „Minilateralismus“ – Koalitionen von wenigen Staaten, die gerade ein gemeinsames Interesse haben. Die Brics-Staaten sind (geo-)politisch so unterschiedlich verfasst, dass aus ihnen kein einheitlicher Block entstehen kann. Indien etwa steht den USA derzeit so nahe wie lange nicht und ist trotzdem Teil der Gruppe.

Kann der Westen das Vertrauen der Länder des Globalen Südens (die man früher Entwicklungsländer oder die Dritte Welt nannte) wiedergewinnen? Oder werden sich noch mehr Staaten vom Westen abkehren und der Brics-Gruppe anschließen?

Entscheidend sind dabei Ereignisse wie die Coronapandemie, als der Westen bei der Verteilung des Impfstoffes anfangs zu selbstsüchtig agierte, oder auch der Kampf gegen den Klimawandel, bei dem die Staaten des Globalen Südens zu Recht mehr Unterstützung verlangen.

Das von den Brics-Staaten herbeigesehnte Ende der Hegemonie der USA, respektive des Westens, kann als Schritt zu mehr Gleichheit innerhalb der internationalen Gemeinschaft interpretiert werden – oder als Verlust der Durchsetzungskraft im Kampf für Völkerrecht, Demokratie und Menschenrechte. Wahr ist beides, bedeutsamer ist Letzteres. Aber das ist bloß die Meinung eines Bürgers des privilegierten Westens.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur