Nichts braucht das Land dringender als eine moderne Sozialdemokratie
Für die SPÖ läuft es derzeit nicht gerade nach Plan: Sie hat die Europawahlen verloren, auf Bundesebene das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren, liegt in sechs von neun Bundesländern hinter der FPÖ und hat nach Niederösterreich nun auch noch auf Bundesebene den Sprung auf die Regierungsbank verpasst. Womit rote Kernforderungen (wie die Einführung von Vermögen- und Erbschaftssteuern, einer Bankenabgabe oder progressiver Unternehmenssteuern) von der Umsetzung weiter entfernt sind als vor der Nationalratswahl.
Dafür bekommt das Land mit Herbert Kickl erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik voraussichtlich einen blauen Regierungschef. Und damit einen Kanzler jener Partei, die die SPÖ seit Jahrzehnten vom Wiener Ballhausplatz fernzuhalten verspricht. Das sieht nicht nur nach einem strategischen Super-GAU aus, es ist auch einer.
Irgendwas läuft also ordentlich schief in den Reihen der Sozialdemokraten. Deren Parteichef weiß auch schon, was: „Das Problem liegt bei der ÖVP“, wie der glücklose SPÖ-Vorsitzende Andreas Babler in einem profil-Interview vergangene Woche erklärte. Parteinahe Blogger und Institutionen sehen das nicht ganz so eindimensional, sie wittern eine neoliberale Verschwörung, zumal die Neos den Verhandlungstisch „mutwillig“ verlassen hätten. Diese Art der Analyse nimmt schon fast tragische Züge an. Haben wir es doch mit einer großen Partei zu tun, die dieses Land geprägt hat wie kaum eine andere. Die viel für die Chancengleichheit getan hat, die soziale Absicherung breiter Bevölkerungsschichten vorangetrieben und das Land einst gesellschaftspolitisch modernisiert und geöffnet hat. Und die heute mit zitternden Zeigefingern und bebenden Lippen auf die politischen Mitbewerber zeigt, die sich nicht nur gruß-, sondern auch grundlos aus der Sandkiste entfernt hätten. Man kann das Salz der Tränen, die an den Wangen des Parteivorsitzenden runterkullern, förmlich schmecken.
Der Zustand der Partei wird die politische Konkurrenz freuen, ist für das Land aber keine wirklich erfreuliche Nachricht. Nichts fehlt dem Land mehr als eine moderne Sozialdemokratie, die den politischen Wettbewerb belebt und eine grundlegende Erneuerung des Landes mitträgt. Eine Partei, die sich für die Kinder in den migrationsbelasteten Schulen einsetzt, statt die Probleme auszublenden und auf die Stimmen der Zugewanderten zu hoffen. Eine Partei, die weniger für jene da ist, die um 6 Uhr früh das erste Bier öffnen (© Christian Kern), sondern für jene, die um diese Zeit zur Arbeit gehen. Eine Partei, die Leistung nicht als Diskriminierung der Antriebslosen versteht, sondern als Lift nach oben für hart arbeitende Beschäftigte. Eine Partei, die erkennt, dass eine starke Wirtschaft nicht das Spiegelbild einer ausgebeuteten Arbeiterschaft ist, sondern der verlässlichste Gefährte eines funktionstüchtigen Wohlfahrtsstaats. Und eine Partei, die sieht, dass die Qualität der staatlichen Daseinsvorsorge immer weiter sinkt, obwohl die Staatsausgaben einen Rekordwert von 54 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung erreicht haben.
Statt diese Probleme zu adressieren und eine entschlossene Qualitätssteigerung des öffentlichen Angebots einzufordern, zelebriert die SPÖ altes marxistisches Freund-Feind-Denken. „Die Banken“ seien das große Übel, „die Geldigen“, die „auf Kosten der vielen“ in Saus und Braus lebten und viel zu niedrig besteuert würden. Seit Monaten versucht die SPÖ breiten Bevölkerungsschichten einzureden, arm zu sein und ihren Kindern keine warme Mahlzeit am Tag servieren zu können. Wer soll das glauben, in einem Land mit den zweithöchsten Reallohnsteigerungen der EU und einem der bestausgebauten Sozialsysteme der Welt? Irgendwann sollte doch der Groschen gefallen sein, dass die SPÖ mit dumpfen Jungsozialisten-Sprüchen nur noch die linken Ränder der Partei verzücken kann. Die Mehrheit der Beschäftigten wählt seit Jahren freiheitlich – das ist weniger die Schuld der Volkspartei und der Neos als jene der Sozialdemokraten, die keine mitreißende Zukunftserzählung mehr anzubieten haben.