Otmar Lahodynsky: "Wie Aussätzige"
Anmerkung: Dieser Text erschien ursprünglich im profil Nr. 36/2010 vom 06.09.2010.
Die profil-Berichterstattung anlässlich der schwarz-blauen Wende im Februar 2000 empörte die Regierenden fast so sehr wie die EU-Sanktionen.
Es war eines der profil-Titelblätter, die nachhaltig in Erinnerung bleiben sollten: „Die Schande Europas“ verkündeten große, weiße Lettern auf einem trauerschwarzen Grund. Darunter ein kleines Foto, das Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und FPÖ-Chef Jörg Haider beim Unterzeichnen der Regierungserklärung zeigte. Bildtext: „Hofburg, 3. Februar 2000, 13.05 Uhr“.
Die Artikel des Hefts untermauerten die Titelthese. Die Sanktionen der 14 EU-Partner, von denen einige zuvor Wolfgang Schüssel eindringlich vor einer Koalition mit der FPÖ gewarnt hatten, verwandelten Österreich innerhalb einer Woche „von einem geachteten EU-Mitglied zu einem Paria der Staatengemeinschaft“, hieß es da. Die schwarz-blaue Wende werde Österreich auf eine Weise spalten, wie es „seit 1945 noch nie der Fall war“, lautete eine Prognose. Und der deutsche Außenminister Joschka Fischer kritisierte im profil-Interview, dass Schüssel einen „historischen Fehler“ begangen habe. „Die EU darf nicht akzeptieren, dass Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalismus regierungsfähig werden“, erklärte der Grün-Politiker.
In der neuen Koalition sorgte die profil-Ausgabe naturgemäß für Empörung. Bundeskanzler Schüssel, nach 30 Jahren der erste ÖVP-Politiker an der Regierungsspitze, hat seinen Ärger über den profil-Titel bis heute nicht ganz verwunden (siehe auch Interview Seite 28). Ein Jahr nach der Wende wollte der Kanzler in der ORF-Sendung „betrifft“ vom profil-Herausgeber Christian Rainer eine Distanzierung von Cover-Gestaltung und Leitartikel hören, was dem Kanzler jedoch verwehrt wurde.
Dabei gab es auch ÖVP-Politiker, die Schüssels Bund mit der FPÖ nicht goutierten, darunter Erhard Busek, Franz Fischler oder Heinrich Neisser. Doch viele wollten ihre Kritik nicht offen aussprechen.
Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer (FPÖ) verordnete sogleich für die blauen Regierungsmitglieder ein Verbot, mit profil-Redakteuren Gespräche zu führen. Erst Monate später brach Riess-Passer den Bann, nicht ohne profil vorzuwerfen, mit seiner Berichterstattung über die Wende „Grenzen überschritten“ zu haben, „die bei allem Respekt vor kritischem Journalismus nicht überschritten werden dürfen“.
Dass Schüssel mit der Koalition mit der FPÖ ein europäisches Tabu gebrochen hatte, nämlich rechtslastige und xenophobe Parteien durch Regierungsbeteiligung salonfähig zu machen, betonten in der Folge europäische Politiker wiederholt – auch in Gesprächen mit profil.
„Es war schon arg“, erinnert sich Florian Krenkel, damals Pressesprecher des Kanzlers. „Die EU-Politiker haben uns mit einem Schlag nicht mehr gegrüßt, einige wollten uns nicht einmal mehr die Hand geben. Wir haben uns wie Aussätzige gefühlt.“
Dass die Sanktionen überzogen waren und außerhalb des Rechtsrahmens der EU standen, war längst auch den EU-Partnern klar. Überdies wirkten sie kontraproduktiv, indem sie einen Kitt für die Koalition darstellten. Anstelle der Regierung fühlten sich viele Österreicher bestraft, etwa durch Aufrufe des belgischen Außenministers Louis Michel, keinen Skiurlaub in Österreich zu verbringen.
Plötzlich standen die eigentlichen Aufgaben der EU bei Gipfeltreffen völlig im Hintergrund. Außenministerin Benita Ferrero-Waldner musste beim Gipfeltreffen im portugiesischen Feira in den weit größeren Pressesaal Deutschlands übersiedeln, weil sich Hunderte Journalisten nur für die politische Lage in Österreich interessierten.
Der Ausweg aus der Lähmung lag in einem „Weisenrat“, bestehend aus den drei Experten Jochen Frowein, Martti Ahtisaari und Marcelino Oreja, die nach Gesprächen in Österreich in ihrem Bericht festhielten, dass die FPÖ zwar eine „rechtspopulistische Partei mit radikalen Elementen“ sei und „fremdenfeindliche Stimmungen ausgenützt und gefördert“ habe, trotzdem sei Österreich ein Rechtsstaat geblieben. Die angelaufene Entschädigung der Zwangsarbeiter unter dem NS-Regime wurde im „Weisenbericht“, der die Sanktionen aufhob, ausdrücklich gelobt.
Dass Ende 2000 im neuen EU-Vertrag ein geordnetes Verfahren gegenüber EU-Mitgliedern, welchen der Bruch von europäischen Grundwerten vorgeworfen wird, verankert wurde, ging – Ironie der Geschichte – auf eine Initiative Wolfgang Schüssels zurück. Doch Strafmaßnahmen gegen ein EU-Land wurden seither nie wieder verhängt, auch nicht gegen Italien unter Silvio Berlusconi.
Die eilig und ohne Exit-Strategie verhängten „Maßnahmen“ gegen die schwarz-blaue Regierung sollten eine singuläre Episode in der europäischen Geschichte bleiben.
Otmar Lahodynsky, 55, arbeitete von 1976 bis 1988 bei profil und kehrte aufgrund unstillbarer Sehnsucht 1998 zurück.