Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Das angreifbare Berlusconi-Urteil

Das angreifbare Berlusconi-Urteil

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Sieben Jahre Haft und ein lebenslanges Politikverbot, wie sie ein Mailänder Gericht über Silvio Berlusconi verhängte, wären in Österreich in seinem Fall nicht möglich. Ich fürchte, dass auch in Italien ein beträchtliches Risiko besteht, dass sie in zweiter Instanz nicht halten.

Folgende Einwände der Verteidigung scheinen mir auf der Hand zu liegen:
• Auch wenn Berlusconi in der Vergangenheit Verurteilungen nur durch Verjährung oder speziell für ihn beschlossene Gesetze entging, ist er nicht einschlägig vorbestraft. Sieben Jahre Haft sind daher für die ihm zur Last gelegten ­Delikte völlig inadäquat.

• Auch wenn das Gericht bestens begründen konnte, weshalb es Ruby Rubacuoris Beteuerung, nie mit Berlusconi geschlafen zu haben, nicht glaubt, halte ich es für schwierig, ihm nachzuweisen, dass er sie für minderjährig halten musste, obwohl sie wie weit über 20 aussieht. Wenn sie ihm nicht nachweisbar als minderjährig angepriesen wurde, sehe ich zumindest das Risiko, dass dieser Teil des Urteils aufgehoben wird.
Das aber könnte den Urteilsspruch in seiner Gesamtheit in Misskredit bringen und es Berlusconis Abgeordneten ­erleichtern, ihn einmal mehr durch ein Spezialgesetz vor jeder Strafe zu schützen.

Der zweite Teil des Urteils, seine als Amtsmissbrauch gewertete Intervention bei einer Festnahme Rubys durch die Polizei – er soll bekanntlich erklärt haben, sie müsse als Nichte des ägyptischen Präsidenten aus diplomatischen Gründen sofort freigelassen werden – steht dagegen auf ungleich festeren Beinen. Das Gericht wäre in meinen Augen nicht nur rechtlich auf der sichereren Seite, sondern auch politisch weiser gewesen, Berlusconi im Zweifel vom Sex mit einer Minderjährigen freizusprechen und ihn nur wegen Amtsmissbrauches zu verurteilen. Denn dieser Schuldspruch wäre vor der zweiten Instanz kaum zu bekämpfen und von der letzten Instanz kaum zu „kassieren“ gewesen.

So lässt ihm das übertrieben harte Urteil zumindest eine Chance. Die Tragödie Italiens besteht darin, dass es überhaupt eines Strafurteils bedarf, um Berlusconi aus der Politik zu eliminieren: dass es nicht genügt, dass er das Land wirtschaftlich zugrunde gerichtet hat; dass es nicht genügt, dass er ständig Gesetze zu seinen Gunsten erlassen hat; dass es nicht zu seiner politischen Ächtung reicht, was bisher unbestritten über ihn bekannt geworden ist:
So war er Mitglied der berüchtigten Geheimloge P2, deren Gründer Licio Gelli ganz offen bekennt, dass er einen faschistischen Staat mit einem vom Parlament unabhängigen Führer installieren wollte und zu diesem Zweck Politiker, Industrielle, Geheimagenten und Mafiosi mit hoffnungsvollen jungen Leuten zusammengespannt habe, unter denen Berlusconi der begabteste gewesen sei.
Und begabt war der einstige TV-Entertainer jedenfalls: Er erfasste früh die Mega-Chance, die in der Gründung ­eines TV-Imperiums lag, und fand dafür die erstaunlichsten Investoren: Lehrer, Trafikanten, Cafetiers, die durchwegs millionenschwere Briefkastenfirmen besaßen, von denen sie allerdings nur den Namen kannten. Ein Top-Mafioso, der die Zeugenregelung für sich in Anspruch nahm, behauptete dafür im Prozess gegen einen Berlusconi-Intimus Folgendes: In den Briefkästen sei Mafiageld geparkt gewesen, das er über diesen Intimus an Berlusconi weitergeleitet habe. (Der – unbewiesene – Mythos reichte bis Wien: Als ich 1968 eine Tageszeitung gründen wollte, wurde mir dafür Kapital eines italienischen Verlegers namens Berlusconi offeriert, falls es mich „nicht stört, dass es sich um Mafiageld handelt“.)

Der Prozess ist, wie fast alle Strafverfahren mit Berlusconi-Involvierung, nicht rechtskräftig zu Ende. Meist erließ der „Cavaliere“ Gesetze, die ihn straffrei machten oder das ihm angelastete Delikt vorzeitig verjähren ließen. Insgesamt hat das Parlament 30 solcher Gesetze be­schlossen.

Nach wie vor anhängig ist bekanntlich der „Mediaset-Prozess“, in dem Berlusconi wegen Steuerbetruges in zweiter Instanz zu vier Jahren Kerker sowie fünf Jahren Amtsverbot verurteilt wurde und in dem ihn nur noch die letzte Instanz durch „Kassation“ retten kann. Und anhängig ist ein Strafprozess, in dem ein Abgeordneter gestanden hat, dass ihm von Berlusconi Geld für den Wechsel zu seiner Partei angeboten wurde. Offen ist ferner ein Zivilprozess, in dem Berlusconi auf Schadenersatz geklagt wurde, weil er durch Richterbestechung in den Besitz des größten Print-Verlages des Landes gelang sei. Geklärt ist hingegen, wieso er auch den Staatsrundfunk RAI kontrolliert: Der wegen Korruption verurteilte P2-Gefährte Bettino Craxi übertrug ihm als Ministerpräsident die Sendefrequenzen.

Gegen dieses Medienmonopol aus Printmedien und TV-Stationen war Wahlkampf in der Folge kaum mehr möglich.

Einem Unternehmer, der einen Konkurrenzsender errichtete, enthielt Berlusconi die Lizenz für ein Vollprogramm trotz entgegengesetzten Urteils des Europäischen Gerichtshofes vor.

Vielleicht macht das begreiflich, warum ich im Mailänder Urteil noch immer nicht Berlusconis sicheres Ende sehe.

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