Peter Michael Lingens: Noch einmal davongekommen

Peter Michael Lingens: Noch einmal davongekommen

Peter Michael Lingens: Noch einmal davongekommen

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Es ist bei diesen Wahlen nie wirklich um Wien, sondern um Österreich gegangen. Deshalb bleibt der große Zugewinn der FPÖ unverändert besorgniserregend. Seine Ingredienzen waren die gleichen wie in Oberösterreich: Vermutlich abermals vier, fünf Prozent hat ihr die begreifliche Angst vor einem Flüchtlingsstrom gebracht, der in Ländern mit fremden Kulturen entspringt. Während die FPÖ diese Ur-Angst perfekt zu schüren wusste, war die Regierung außer Stande, sie auch nur zu mindern: Dass Vizekanzler Mitterlehner und Innenministerin Mikl-Leitner sich in ihren Aussagen asymptotisch denen H.C. Straches genähert haben, erhöhte nur dessen Glaubwürdigkeit.

Dass Michael Häupl demgegenüber auf „Willkommenskultur“ setzte, bewahrte ihn meines Erachtens vor einem Waterloo: Es zog das „andere Wien“ auf seine Seite. Der Rest des blauen Zugewinns ist Protest gegen die unbefriedigende Leistung der Bundesregierung. Auch wenn ich sie nicht ganz so unbefriedigend wie Eva Linsinger einstufe: Immerhin hat sie die größte Wirtschaftskrise seit 1932 primär besser als selbst Deutschland gemeistert. Und dem Auf- und Abstieg in Wirtschaftsrankings bringe ich ein gewisses Misstrauen entgegen, seit die größten Rating-Agenturen Spanien noch 2007 Bestnoten verliehen. Ansonsten glaube ich, dass Österreichs aktuelle Wachstumsschwäche vor allem der besonders braven Befolgung des deutschen Spar-Diktates geschuldet ist, indem Hans Jörg Schelling, um Staatsschulden rascher abzubauen, die Konsumenten viel zu spät, viel zu wenig von der Steuerprogression entlastet hat.

Vor allem dank schwacher schwarzer Finanzminister sehe ich drei Bereiche dramatischen Regierungsversagens: Das „differenzierte Schulsystem“, an dem die ÖVP hängt, ist durch PISA desavouiert; die „Neue Mittelschule“ der SPÖ funktioniert schlechter als die alte Hauptschule; für eine Gesamtschule à la Finnland fehlen alle Voraussetzungen.

Das dramatische Auseinanderklaffen der Vermögen ist wachstumsfeindlich und wird zunehmend als ungerecht empfunden – nur nicht von den Funktionären der ÖVP. Indem sie eisern Vermögenssteuern verweigern, fehlt die Gegenfinanzierung für eine Senkung der Einkommenssteuern oder der Lohnnebenkosten, die Mehrbeschäftigung in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit bewirken könnte.Der Widerstand der Landesfürsten, föderale Kompetenzen sachlicher zu verteilen, scheint unüberwindlich. Selbst Schellings Versuch, wenigstens einheitliche Bilanzierungsvorschriften durchzusetzen, blieb bisher erfolglos. Voran Niederösterreich und Wien wollen sich nicht in die Karten schauen lassen.

Brauner zählt zu den Favoriten für die Nachfolge Häupls. Ihre Kür würde der FPÖ 2020 den Wiener Bürgermeister sichern.

Damit bin ich bei Fehlleistungen, die tatsächlich Wien anzukreiden sind, auch wenn es in Summe eine hervorragend verwaltete, extrem lebenswerte Stadt ist.

Obwohl Wiens Bürgermeister die Vollmachten eines Fürsten besitzt, wurden sie, anders als im „Roten Wien“ der Zwischenkriegszeit, nicht genützt, fortschrittliche Gegenmodelle zum Landesüblichen zu entwickeln: Als Bauherr und Stadtschulratspräsident wäre Michael Häupl in der Lage gewesen, zumindest in Wien ein vorbildliches Schulsystem zu etablieren – stattdessen fehlen der Stadt sogar Ganztagsschulen. Statt Wiens Wachstum durch Zuwanderung vorherzusehen, ist man die längste Zeit von einer schrumpfenden Bevölkerung ausgegangen und hat auf sozialen Wohnbau verzichtet. Wenn Häupl jetzt den Bau von 5000 Gemeindewohnungen verspricht, sind das pro Jahr um 10.000 zu wenig. Gleichzeitig gibt es für internationale Unternehmen zu wenig Anreiz, sich auf gemeindeeigenem Boden anzusiedeln und der wachsenden Bevölkerung mehr Arbeit zu ­geben. Dafür überschwemmten gemeindeeigene Wohnbau-­Unternehmen „Heute“ und „Österreich“ mit Wohnbau-Inseraten und zogen damit freundliche Kommunal­­be­richt­erstattung an Land.

Ein wichtiger Anreiz für Schweizer oder deutsche Konzerne, sich in Wien anzusiedeln, verdorrt zunehmend: Das Kulturleben der Stadt wird von ihr immer dürftiger und provinzieller gefördert. Teils erzwingt das der Sparpakt, teils entspringt es freiwilliger Fehlsteuerung: Während Musicals sich in den USA, aber auch in London immer selbst finanzieren mussten, fördert Wien seine vereinten Musical-Bühnen mit Millionen, die es kleinen Theatern vorenthält. Will man wissen, warum das so ist, erhält man von Insidern die Antwort: „Die (Finanzstadträtin Renate) Brauner schaut so gern Musicals an.“ Und die Vereinigten Bühnen sind der Wien Holding eingegliedert und damit Teil ihres Mega-Imperiums. Nur so ist zu erklären, dass ausgerechnet sie ein Konzert zum Gedenken an Michael Jackson veranstalten wollte – das dann nicht stattfand, aber zur Vorbereitung 600.000 Euro verschlang. Brauner zählt zu den Favoriten für die Nachfolge Häupls. Ihre Kür würde der FPÖ 2020 den Wiener Bürgermeister sichern.