Peter Michael Lingens: Weiter auf dem falschen Weg
Im Trubel des Ringens um den Vertrag mit der Türkei sind zwei Entscheidungen weitgehend untergegangen, die von mindestens so großer Bedeutung für die Akzeptanz der EU sind: Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble hat energisch davor gewarnt, den Sparpakt zu verwässern. Und die EZB hat im Rahmen von QE den Referenzzinssatz auf null gesenkt, das Volumen der Wertpapierkäufe, mit denen sie Banken Geld in die Hand drückt, gesteigert, und die Strafzinsen, die sie zahlen müssen, wenn sie es bei ihr parken, nochmals erhöht.
Beides wird nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung der EU, sondern auch die Flüchtlingsfrage beeinflussen. Denn dass es der größten Volkswirtschaft der Welt mit ihren 508 Millionen Einwohnern so schwer fällt, ein paar Millionen Flüchtlinge aufzunehmen, liegt nicht zuletzt daran, dass sie unverändert ein gravierendes volkswirtschaftliches Problem hat: Sie wächst und wächst nicht.
Wenn aber Jobs immer rarer werden und ein immer größerer „abgehängter“ Teil der Bevölkerung selbst in Deutschland oder Österreich nur ein real geschrumpftes Einkommen zur Verfügung hat, dann können Flüchtlinge schwer allseits willkommen sein. Hier unterscheidet sich die Situation psychologisch massiv von der Vergangenheit: Bis etwa 1990 gab es kaum Job-Angst, und alle Teile der Bevölkerung erlebten Einkommenswachstum. Daher freuten sich damals die meisten, dass Grenzzäune fielen – jetzt haben zumindest die „Abgehängten“ verständliches Interesse daran, dass sie errichtet werden.
Nur der Sparpakt unterscheidet die US-Wirtschaftspolitik signifikant von der Europas.
„Abgehängte“ gibt es mittlerweile auch in den USA, und auch dort herrscht heute viel mehr Job-Angst, sodass Donald Trump unter Applaus nach einer „Mauer zu Mexiko“ rufen kann. Dennoch liegt das BIP pro Kopf der USA immerhin bereits um 2000 Dollar über Vorkrisenniveau, während es in der EU noch immer unter dem von 2008 liegt. Die Arbeitslosigkeit ist in den USA nicht nur nominell auf 4,2 Prozent gesunken, sondern es kehren auch mehr Menschen auf den Arbeitsmarkt zurück, die die Arbeitssuche zuvor aufgegeben hatten und damit die Statistik verzerrten. Die USA machen es also deutlich besser als die EU – aber voran deutsche Ökonomen wollen einfach nicht zugeben, dass das mit dem Sparpakt zusammenhängen könnte – denn nur er unterscheidet die US-Wirtschaftspolitik signifikant von der Europas. Dabei ist es so einfach zu verstehen: Die Wirtschaft kann schwer wachsen, wenn in einer Nachfragekrise die potentesten Staaten ihre Nachfrage im Gleichschritt vermindern. (Es kann auch die „Staatsschuldenquote“ – das Verhältnis von Staatsschulden zum BIP – nicht sinken, weil das BIP-Wachstum durch Sparen des Staates fast immer stärker nachlässt, als sich seine Schulden verringern.) Dennoch sagt Schäuble: Unbedingt weiter so!
Also gibt es nur „Geldpolitik“, um gegenzusteuern: Die EZB hofft, dass die Banken das viele billige Geld, das sie ihnen durch QE in die Hand drückt, erfolgreich an Unternehmen für Investitionen weiterverleihen, weil es sie Strafzinsen kostet, es bei ihr zu parken. Zuerst haben Deutschlands Ökonomen gegen QE eingewendet, dass es zur Hyperinflation führen müsse – das Gegenteil trat ein. Dann haben sie „Blasen“ auf den Aktienmärkten befürchtet – doch in der jüngsten Phase ging QE sogar mit Einbrüchen der Aktienmärkte einher. (Nur auf vereinzelten Immobilienmärkten gibt es Ansätze zu Blasen, daher hat die EZB Immobilienkredite von der jüngsten Erleichterung ausgenommen.) Jetzt bevorzugen deutschsprachige Ökonomen das Argument, dass QE die „Sparer“ wie nie zuvor benachteilige. Nicht einmal das stimmt: Es hat (schon gar in Österreich) mehrfach Jahre gegeben, in denen die Sparer in Wahrheit Geld verloren haben, weil der Sparzinssatz zwei oder drei Prozent, die Inflation aber vier oder fünf Prozent betragen hat. Heute liegen die Sparzinsen zwar bei null, aber statt Inflation gibt es in immer mehr EU-Ländern Deflation – die Preise sinken.
Letztlich ist es aber natürlich der Sinn von QE, Sparen unattraktiv zu machen. Denn durchwegs wird zu viel gespart, statt dass Geld ausgegeben und investiert würde.
Das Hauptproblem von QE ist bisher nicht, dass es Katastrophen heraufbeschworen hätte, sondern dass es die Wirtschaft keineswegs ausreichend anzukurbeln vermochte. Auch das werfen Wolfgang Schäuble und Deutschlands herrschende Ökonomen der EZB jetzt vor: QE halte nicht, was es verspricht.
Aber das liegt daran, dass Sparpakt und Einkommenspolitik leider den viel größeren Einfluss auf die Wirtschaft haben: Banken können noch so viel Geld noch so billig zur Verfügung stellen – Unternehmer werden dennoch nur dann vermehrt Kredite aufnehmen, wenn sie sich von zusätzlichen Investitionen mehr Geschäft erwarten. Wie aber sollen sie mehr Geschäft erwarten, wenn der Staat weiterhin mit Aufträgen und Ausgaben spart, und wenn der Teil der Bevölkerung, der noch viele Konsumwünsche offen hätte, weiterhin geringere Realeinkommen als vor 20 Jahren bezieht? Die EZB kann nicht so viel richtig machen, wie Deutschland wirtschaftspolitisch falsch macht.