Peter Michael Lingens: Droge Wirtschaftswachstum

Auf Dauer können auch höhere Investitionen des Staates nicht für Vollbeschäftigung sorgen

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Eben erst habe ich dafür plädiert, den Bürgern mehr Geld für Konsum zu belassen, und ständig fordere ich, dass die Staaten der EU vermehrt investieren, anstatt dass alle gleichzeitig sparen. Aber ich wäre unredlich, wenn ich die Probleme und letztlich Grenzen einer solchen Politik nicht sähe. Folgende Fragen drängen sich auf:

1. Können vermehrte staatliche Investitionen die Wirtschaft überhaupt wieder ankurbeln? 2. Können sie es in einem Ausmaß, das Arbeitslosigkeit verhindert? 3. Und können sie das auf Dauer?

Frage 1 würde ich ohne Einschränkung bejahen: Es gibt vorerst genügend sinnvolle staatliche Investitionen zur Ankurbelung des Wirtschaftsgeschehens – von der Förderung alternativer Energien über den Bau neuer Schulen bis zum Ausbau von U-Bahn-Netzen.

Aber ich bin schon nicht sicher, dass dies auch Frage 2 löst: Ich zweifle, dass staatliche Investitionen das Wirtschaftswachstum in einem Ausmaß reanimierten können, das reicht, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden. In den USA mit ihrer rückständigen, arbeitskräfteintensiven konventionellen Industrie scheint das vorerst zu gelingen – aber in Ländern wie Deutschland, Frankreich oder Österreich mit ihrer arbeitskräftesparenden konventionellen Industrie wird es sehr schwer sein: Bei mehr Aufträgen nutzt man einfach die Roboter stärker.

Unzweifelhaft haben die USA den Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft besser als die EU geschafft – und neue Arbeitsplätze entstehen vor allem im Dienstleistungssektor. Hier wäre in unseren Breiten ausnahmsweise Deregulierung angesagt: So behindert etwa Österreichs Gewerbeordnung die Entstehung solcher Arbeitsplätze beträchtlich, und die zahllosen EU-Vorschriften erleichtern das Wirtschaftsleben auch nicht gerade.

Um allerdings steigende Arbeitslosigkeit zu vermeiden, wäre bei der derzeitigen Entwicklung der Bevölkerung – sie wächst vorerst noch, statt zu schrumpfen – ein Wirtschaftswachstum um die drei Prozent notwendig. Ich zweifle stark, dass sich das wieder erreichen lässt. Sicher – und damit verneine ich Frage 3 entschieden – gelingt das nicht auf Dauer.

Wachstum auf Dauer ist denkunmöglich.

Wachstum auf Dauer ist denkunmöglich. Die „Ressourcen“ werden uns zwar viel seltener ausgehen, als Ökologen verkünden – letztlich wird man jeden Rohstoff künstlich herstellen können. Aber es ist mittlerweile immer schwerer zu begründen, warum wir jedes Jahr mehr als im Vorjahr produzieren müssen. Denn erstens nimmt unser Wohlstand auch ohne Wirtschaftswachstum Jahr für Jahr zu, weil wir fast alle Güter in weit kürzerer Zeit neu produzieren, als sie kaputtgehen. Und zweitens vermindert der ­gestiegene Wohlstand nicht selten die Lebensqualität: Drittautos erzeugen in erster Linie Stau. Immer mehr Kunststoffe erzeugen immer mehr Müll. Immer mehr Unterhaltungselektronik erstickt irgendwann die Unterhaltung. Sogar jährlich neue Handys dürften irgendwann zu viel sein.

Aber selbst wenn dergleichen weiter gekauft werden sollte, wird die Herstellung kaum große Mengen menschlicher Arbeitskraft binden.

Es ist kein Zufall, dass öffentliche Investitionen die Stagnation in Japan so schwer überwinden helfen: Der Straßenbau etwa, an den in diesem Zusammenhang als Erstes gedacht wird, erweist sich als ungeeignet. Man braucht dafür kaum Menschen – nur große Maschinen. Schulen und Kindergärten kann und soll man natürlich ausbauen – aber ewig geht auch das nicht. Schon gar nicht angesichts Europas demnächst schrumpfender Bevölkerung.

Natürlich lassen sich Dienstleistungen ausbauen. Es kann (soll) sicher noch mehr Friseure, Masseure, Köche, Sozialarbeiter, Psychologen und Künstler geben, die das Leben lebenswerter gestalten. Aber nur Fantasielose übersehen, wie sehr auch bei den Dienstleistungen Roboter ständig Menschen ersetzen: VW ersetzte soeben Handreicher durch Roboter. Das Personal an den Supermarktkassen wird man demnächst durch Automaten ablösen, die eingekaufte Waren elektronisch erfassen und nach Bezahlung Ausgänge freigeben. Die Wartung von Maschinenparks erfolgt wie bei Autos schon jetzt vorwiegend, indem elektronisch ermittelt wird, welcher Teil zu ersetzen ist.

Das gilt, so futuristisch es klingen mag, auch für den menschlichen Körper. Aktuell mangelt es noch an Altenpflegern – aber der Fortschritt der Medizin wird dazu führen, dass die Alten viel länger gesund bleiben und kaputte Organe zunehmend ausgetauscht werden können. Im Grunde ist das alles nicht erschreckend, sondern erfreulich.

Es sei denn, man meint, dass das Volumen menschlicher Arbeit auf keinen Fall schrumpfen darf, weil sonst die Arbeitslosigkeit steigt.

Genau das ist jedoch der seltsame Zustand, in dem wir uns derzeit befinden: Wir sehen uns der Arbeitsplätze wegen ständigem Wirtschaftswachstum ausgeliefert und fürchten panisch, dass wir es nicht mehr in ausreichendem Ausmaß generieren können. Dass uns in absehbarer Zeit etwas einfallen muss, wie wir wachsende Arbeitslosigkeit auch ohne Wirtschaftswachstum vermeiden, verdrängen wir nach Kräften.