Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Ein Verbrechen an Wien

Ein Verbrechen an Wien

Drucken

Schriftgröße

Ich bin in diesem Text Partei. Als passionierter Fußgänger zähle ich es zu meinen täglichen Genüssen, im siebenten Wiener Gemeindebezirk immer wieder auf barocke und klassizistische Häuser zu stoßen, bei deren kleinsten ich mir tagträumend ausmale, sie zu erwerben und zu bewohnen. In einem Fall ist mir dieser Traum nicht einmal völlig unrealistisch erschienen: Das Haus Breite Gasse 15 mit seiner delikaten klassizistischen Fassade war offensichtlich seit Langem unbewohnt und schien seinem Eigentümer in keiner Weise am Herzen zu liegen, denn Haustor und Fenster moderten vor sich hin und das Mauerwerk bröckelte. Vielleicht, so dachte ich, ist dieses Juwel erschwinglich.

Ich erkundigte mich bei Nachbarn, wem es denn gehöre, doch die Antwort ließ den Traum blitzartig platzen: einem Rechtsanwalt mit jeder Menge Geld. Er habe es vor vielen Jahren gekauft und angesucht, es aufstocken zu dürfen. Als ihm das untersagt worden sei, habe er beschlossen, das Gebäude verfallen zu lassen. Überprüfbar an dieser Auskunft war nur, dass es einem Rechtsanwalt gehört; er es 2002 gekauft hat; und dass es zunehmend verfallen ist.

Die minimalen Grundsteuern machen dergleichen wirtschaftlich möglich. Jetzt habe ich der „Wiener Bezirkszeitung“ entnommen, wie lukrativ das sein kann: Es gibt ­einen Abbruch-Bescheid.

Wenn dieses Haus wirklich abgebrochen wird, ist es ein Gewaltverbrechen an Wien. Weil das mittlerweile unvermeidlich ist, will ich dieses Urteil auch wirtschaftlich begründen: Der Wien-Tourismus lebt von Wiens historischer Bausubstanz, und die besteht nicht nur aus Schlössern und Palais, sondern eben auch aus Bürgerhäusern wie diesem. Ihr Abbruch müsste daher verboten sein.

Ist es aber in diesem Fall nicht: Dem Internet entnehme ich, dass sich die Essayistin Daniela Strigl bereits vor Monaten im „Standard“ empört hat, dass das Haus nicht unter Denkmalschutz steht. Der mittlerweile pensionierte Leiter des Denkmalamtes, Wilhelm Georg Rizzi, habe ein diesbezügliches Verfahren eingestellt.

Wenn das so stimmt, war seine Pensionierung ein Segen und ich erlaube mir, polemisch zu sein: Dieses Amt hat unter anderem den Wiener Westbahnhof unter Denkmalschutz gestellt, den ich so lange für ein dürftiges Beispiel moderner Architektur gehalten habe, bis mir der aktuelle Neubau bewies, das es noch hässlicher geht. Auch das ähnlich dürftige ORF-Zentrum am Küniglberg wurde denkmalgeschützt, und die Manner-Fabrik im 17. Bezirk wollte Rizzi sogar gegen den wütenden Protest des damaligen Stadtrates Sepp Rieder, der Arbeitsplätze gefährdet sah, unter Denkmalschutz stellen.

In einem Interview hat Rizzi die gesetzlichen Kriterien dafür formuliert: „Ein Objekt muss entsprechende geschichtliche, künstlerische oder sonstige kulturelle Bedeutung haben, die die Feststellung eines öffentlichen Interesses an der Erhaltung rechtfertigt. Das ist gegeben, wenn es sich aus überregionaler oder auch lokaler Sicht um Kulturgut handelt, dessen Verlust eine Beeinträchtigung des österreichischen Kulturgutbestandes in seiner Gesamtheit bedeuten würde.“

Ich gebe zu, meinem subjektiven Geschmack zu folgen, wenn ich meine, dass der „österreichische Kulturgutbestand“ durch den Abriss des ORF-Zentrums oder des Westbahnhofes keinerlei Beeinträchtigung erfahren hätte, aber ich muss dem Denkmalamt zugestehen, auch den Erhalt dieser typischen Bauten der 1970er-Jahre für wichtig zu halten, obwohl sie, anders als etwa die Wiener Stadthalle, in keiner internationalen Fachzeitschrift gefeiert wurden.

Aber das Denkmalamt muss mir, Daniela Strigl und allen Wienern, die Augen im Kopf haben, zugestehen, dass das Haus Breite Gasse 15 aus „lokaler Sicht“ mindestens so sehr wie der Westbahnhof zu Wiens „Kulturgutbestand“ zählt.

Der Bezirk hat daher zu Recht Einspruch gegen den Abbruch erhoben, und eine Bürgerinitiative hat einen neuen Antrag auf Denkmalschutz gestellt, dem ich mich angeschlossen habe.

Ich habe auch mehrfach vergeblich versucht, den Rechtsanwalt zu erreichen. Denn dass der Denkmalschutz sein Eigentumsrecht und seine finanziellen Chancen erheblich beschnitte, scheint mir, anders als dem geltenden Denkmalschutz­gesetz, keine Quantité négligeable – es ­postuliert, dass finanzielle Erwägungen keine Rolle spielen dürfen.

Das zwingt das Denkmalamt zu Alles-oder-Nichts-Entscheidungen, die entweder massiv zulasten des Eigentümers oder massiv zulasten des Stadtbildes gehen. Deshalb glaube ich, dass man neben dem schwachen Ensembleschutz und dem totalen Denkmalschutz eine Zwischenkategorie des „geschützten historischen Bestandes“ schaffen sollte, die es zum Beispiel gestattete, ein Haus wie die Breite Gasse 15 aufzustocken, sofern die originale Fassade dabei exakt fortgesetzt wird. Natürlich gibt es eine Bauhöhe, bei der die Proportionen nicht mehr stimmen – aber die könnte das Amt von Fall zu Fall festlegen.

So wäre das konkrete Haus meines Erachtens vierstöckig kaum weniger schön – aber die Neigung des Eigentümers, es verfallen zu lassen, wäre erheblich geringer.

[email protected]