Peter Michael Lingens: Die Eurozone ist ein Misserfolgsmodell
Deutschsprachige Medien sehen im Brexit derzeit fast ausschließlich eine Folge populistischer Verführung und wirtschaftlicher Ahnungslosigkeit. Tatsächlich war es absurd, die EU aus Angst vor Zuwanderung zu verlassen, obwohl die Flüchtlingsströme Britannien kaum berühren, die Zuwanderung polnischer Handwerker ein wirtschaftlicher Zugewinn war, und die Wurzel des Problems in in der jahrzehntelangen Zuwanderung aus dem Commonwealth liegt.
Und natürlich war es ahnungslos, anzunehmen, dass Britannien vom EU-Austritt wirtschaftlich profitieren würde. Aber schon die Frage, ob der Brexit die Briten mehr als die EU trifft ist komplex: Das Pfund ist zwar weit stärker als der Euro gefallen, aber primär stärkt das Britanniens Exporte. Es verteuert seine Importe zwar gewaltig – aber darunter wird vor allem Deutschland leiden, das 2015 allein 1,3 Millionen Autos auf die Insel verkaufte.
Während die Regierung 2015 offiziell z.B. die Auswanderung von 9792 Personen nach Britannien bekanntgab, meldeten sich dort 50.260 zur Arbeit bereit.
Deshalb glaube ich nicht, dass die EU eine "harte Haltung" gegenüber dem britischen Wunsch nach "freundschaftlichen" Handelsverträgen einnehmen kann und soll – sie schadete wirtschaftlich nur beiden.
Noch kritischer scheint mir, dass ein Austritt-Motiv der Briten in der Berichterstattung fast untern Tisch fällt: Die EU, voran die Eurozone, ist kein Erfolgsmodell.
Der Vergleich mit den USA macht es am deutlichsten: Dort wuchs die Wirtschaft 2015 um 2,4 Prozent, in der EU um 1,5 Prozent; dort liegt die Arbeitslosigkeit bei vier in der EU bei 8,6 in der Eurozone gar bei 10,1 Prozent. Am besten geschlagen in der EU hat sich unter den "alten" Mitgliedern Großbritannien – das den Sparpakt vermied und dem deutschen Lohndumping durch Pfund-Abwertung begegnen konnte, und Tschechin, für das exakt das selbe gilt.
Die aktuelle Fortschritte im "Süden" entspringen Sonderfaktoren und Irreführungen: So kollabierte der Tourismus in der Türkei, Ägypten oder Tunesien natürlich zu Gunsten des Tourismus in Südeuropa, wo er für bis zu zehn Prozent des BIP verantwortlich ist. Wie irreführend die "südlichen" Arbeitslosenzahlen sind, mag man daran ermessen, dass seit 2009 ca. 400.000 Griechen das Land verlassen haben, die die Arbeitslosigkeit auf 30 Prozent gesteigert hätten, wenn sie geblieben wären.
Ähnliches lässt sich für Spanien vermuten: Während die Regierung 2015 offiziell z.B. die Auswanderung von 9792 Personen nach Britannien bekanntgab, meldeten sich dort 50.260 zur Arbeit bereit.
Theoretisch wäre es für die EU ökonomisch am besten, wenn der gesamte „Süden“ aus ihr austräte und eine eigene Währung besäße.
Restlos absurd ist angesichts solcher Zahlen die Behauptung, dass die Politik der EU in Griechenland oder Spanien eine "Strukturverbesserung" der Wirtschaft herbeiführe. Die wichtigste Strukturverbesserung – die Beseitigung des wahnwitzigen Kündigungsschutzes – ist längst passiert. Jetzt beschädigt die Abwanderung der qualifiziertesten Arbeitskräfte die Wirtschaftsstruktur auf die schlimmste mögliche Weise.
Die Ursache für das extreme wirtschaftliche Rundumversagen liegt für alle nicht-deutschen Ökonomen auf der Hand: Wolfgang Schäuble will nicht verstehen, dass gleichzeitiges Sparen aller Staaten die wachstumsnotwendige "Nachfrage" zwingend minimiert und dass die von seinem Vorgänger Gerhard Schröder verordnete "Lohnzurückhaltung" zwingen die gleiche Wirkung hat. Und zwar umso mehr, je mehr sich ihr andere Volkswirtschaften anschließen müssen, weil sie hoffen, dem deutschen Lohndumping auf diese Weise Stand zu halten.
Was ihnen unmöglich gelingen kann: Deutschland hat ja dank dieses Dumping im letzten Jahrzehnt erheblich an Marktanteilen gewonnen. Selbst in einer hoch industrialisierten Region wie Norditalien müssten die mittlerweile längt schmerzhaft gesenkten Löhnen um weitere zehn Prozent sinken, um die deutschen Preise zu unterbieten und verlorene Marktanteile zurückzugewinnen. Das ließe Italiens Inlandsnachfrage kollabieren und machte Revolten unausweichlich.
Lieber riskiert man, dass es von Griechenland bis Frankreich zu Exits oder Revolten kommt.
In jüngster Zeit beginnt Deutschland seine Löhne endlich anzuheben. In den Medien wird gefeiert, dass das mit zuletzt fünf Prozent sogar deutlich geschehe. Aber der Eindruck täuscht: die Lohnabschlüsse gelten für zwei Jahren – pro Jahr sind es also bloß 2,5 Prozent. Das ist längst nicht genug um Gleichstand mit Ländern herzustellen, die ihre Löhne im Ausmaß der Produktivitätssteigerung erhöht haben.
Das Ungleichgewicht dauert fort – derzeit steigt der Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands gegenüber seinen Nachbarn sogar weiter.
Theoretisch wäre es für die EU ökonomisch am besten, wenn der gesamte „Süden“ aus ihr austräte und eine eigene Währung besäße: Der Euro wertete dann gegenüber dieser Währung sofort zweistellig auf und damit verteuerten sich deutschen Waren sofort in einem Ausmaß, das wieder faire Konkurrenz zuließe.
Die Turbulenzen eines solchen Vorganges wären freilich ebenso groß wie gefährlich. Ungefährlich funktionierte nur die einvernehmliche, rasche, massive Anhebung der deutschen Löhne und Staatsausgaben – gegen die sich die Mehrheit der deutschen Ökonomen unter dem Applaus der deutschen Wirtschaftsmedien weiterhin heftig wehrt. Lieber riskiert man, dass es von Griechenland bis Frankreich zu Exits oder Revolten kommt.