Peter-Michael Lingens: Die nützliche Unbarmherzigkeit des Euro

Peter-Michael Lingens: Die nützliche Unbarmherzigkeit des Euro

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Ende der 1970er-Jahre gab es in Österreich eine relativ heftige Diskussion zwischen Bundeskanzler Bruno Kreisky auf der einen und Finanzminister Hannes Androsch und Nationalbank-Gouverneur Stephan Koren auf der anderen Seite um einen Ausstieg Österreichs aus der D-Mark-Bindung. Denn wenn wir auch den Schilling als Währung hatten, war er durch einen fixen Wechselkurs doch so eisern an die D-Mark gebunden, dass es jederzeit möglich gewesen wäre, zu ihr überzugehen.

Grund der Diskussion: Relativ kräftige Lohnerhöhungen hatten Österreichs nicht sehr hochwertige Industrieproduktion relativ stark verteuert und sie damit in einem Moment europaweiter wirtschaftlicher Probleme internationale Wettbewerbsfähigkeit gekostet. Als Italien, mit dem wir damals wirtschaftlich etwa auf dem gleichen Niveau lagen, gegenüber der D-Mark abwertete, drängten Österreichs Industrie und mit ihr viele angesehene Ökonomen, u. a. des IWF, Bruno Kreisky, das Gleiche zu tun, um insbesondere die Produkte der verstaatlichten Industrie konkurrenzfähiger zu machen.

Es kam zu einer Welle industrieller Innovationen, die unsere Wirtschaft Euro-reif machte

Doch Gott sei Dank blieben Androsch und Koren hart und bei der festen Bindung an die D-Mark. Mit folgender Konsequenz: Österreichs Unternehmen waren gezwungen, ihre Produktion kostengünstiger zu gestalten und vor allem ihre Produkte so sehr zu verbessern, dass sie sich trotz des D-Mark-gleichen Schillings am Markt behaupten konnten. Es kam zu einer Welle industrieller Innovationen, die unsere Wirtschaft Euro-reif machte und viele unserer Klein- und Mittel-betriebe Weltklasse werden ließ. Italien, das sich durch Abwertung der Lira einer solchen Rosskur entzog, büßt das bis heute: Es fiel industriell weit hinter Österreich zurück.

Neben Androsch und Koren war es vor allem ÖGB-Präsident Anton Benya, der diesen Kraftakt ermöglichte: seinem Berater Heinz Kienzl folgend hielt er sich eine Weile mit Lohnforderungen zurück und kompensierte damit die vorangegangene leise Lohnübertreibung. Dass das nicht zu sozialen Verwerfungen führte, lag daran, dass ÖGB und SPÖ gleichzeitig vermehrte Transferleistungen erkämpften, sodass Geringverdiener sich nicht „abgehängt“ fühlten.

Im Euro verbleiben bedeutet, dass wirtschaftliche Schwächen unbarmherzig sichtbar werden

Ich beschreibe diesen Vorgang – den ich für einen der wichtigsten in der Wirtschaftsgeschichte Nachkriegsösterreichs halte – so ausführlich, weil er die Diskussion um Ausstieg oder Verbleib Griechenlands im Euro vielleicht etwas versachlicht: Im Euro verbleiben bedeutet, dass wirtschaftliche Schwächen unbarmherzig sichtbar werden. Man muss sie beheben, wenn man sich behaupten will: die Produktivität erhöhen, die Produkte verbessern, allenfalls überhöhte Löhne zurücknehmen. Die Währung abwerten – aus dem Euro in die Drachme, Lira oder Peseta zurückkehren – bedeutet, all diese Reformen jedenfalls hinauszuschieben, vielleicht gänzlich zu vermeiden. Wirtschaftstheoretisch ist der Verbleib im Euro also sicher die bessere Lösung.

Dass sie auch zwischen Ländern sehr unterschiedlicher Leistungskraft möglich ist, beweisen die USA: Obwohl Einwohner von Mississippi pro Kopf nur halb so viel wie Kalifornier produzieren, bleiben sie selbstverständlich im Dollar.

Allerdings akzeptieren sie auch selbstverständlich, weniger als Kalifornier zu verdienen, ja ihr Einkommen notfalls auch zu reduzieren.

Gleichzeitig finanziert die Bundesregierung die wichtigsten Sozialprogramme und die Arbeitslosenunterstützung und federt so – wenn auch längst nicht im Ausmaß Österreichs – soziale Verwerfungen durch zurückbleibende Löhne ab. Bundesstaaten, die sich nicht mehr so billig finanzieren können, gewährt sie sogar Zinsenzuschüsse.

Der Verbleib „Schwacher“ im Dollarraum wird in den USA also durch „Transfer“ ermöglicht – genau den Transfer, den Deutschland so heftig ablehnt.

Warum wäre ich bezüglich Griechenland eher für den Grexit gewesen?

- Weil dieser Transfer in der EU eben nicht gegeben ist, sondern im Wege nachträglicher und verfehlter Hilfsprogramme kostspielig misslingt;

- weil in Griechenland nicht, wie seinerzeit in Österreich, eine minimale Lohnübertreibung durch unterbleibende Lohnerhöhungen korrigiert werden kann, sondern die griechischen Löhne aufgrund der bekannten Vorgeschichte dramatisch überhöht sind und um bis zu 40 Prozent reduziert werden müssten, was weder Bevölkerung noch Gewerkschaften verkraften können;

- weil so massive Lohnrückgänge abseits funktionierender Sozialleistungen damit verbunden sein müssten, dass auch die Preise (die ja vor allem Löhne enthalten) sehr rasch deutlich fallen. Dem aber stehen in Griechenland Handelsbeschränkungen, Kartelle und Quasi-Monopole entgegen;

- und weil es Griechenland sehr schwer fallen muss, seine Produkte zu verbessern. Denn während Österreich hervorragende technische Lehranstalten, eine sehr gute BOKU und TU und vor allem die Montanuniversität in Leoben für Innovationen zur Verfügung hatte, besitzt Griechenland nichts Vergleichbares.

Aus allen diesen Gründen fürchte ich, dass Griechenland den Verbleib im Euro nicht schafft.