Peter Michael Lingens: Warten auf den Grexitus?

Peter Michael Lingens: Warten auf den Grexitus?

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Politisch ist die Lage in Griechenland nach der Abstimmung klar: Die Bevölkerung steht hinter der Syriza. Ökonomisch ist sie auch klar: Griechenland ist (in Wirklichkeit seit Jahren) bankrott. Es kann aus eigener Kraft weder seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen noch je seine Schulden abzahlen.

Wie die EU damit umgeht, weiß ich nicht. Vielleicht durch Zuwarten auf den Grexitus. Besser – hier teile ich ausnahmsweise die Meinung Hans Werner Sinns - durch einen neuerlichen Schuldenschnitt von wohldosiertem Ausmaß: Nicht so massiv, dass Spanien und Portugal aufschreien, aber groß genug, dass Griechenland wirklich Luft bekommt. Schulden, die unmöglich zurückgezahlt werden können, erlässt man besser – wie bei Deutschland nach dem 2. Weltkrieg (nachdem man erlebt hatte, wie die Reparationen nach dem 1. Weltkrieg ins Desaster geführt hatten).

Ob die Syriza nach dem Schnitt tatsächlich einen Neubeginn in Griechenland schaffte, ist freilich fraglich

Griechenland könnte nach dem Schnitt, wie nach einem Ausgleich, wenn auch zu höheren Zinsen, neu beginnen. Das ist billiger als dem verlorenen Geld weiteres in Form neuerlicher „Hilfsprogramme“ nachzuschmeißen. (Es sei denn, diese dienen ausschließlich humanitären Zwecken oder der Förderung einzelner, eng umrissener Projekte.)

Im übrigen sollte man nicht immer nur überlegen, wie unangenehm ein griechischer Schuldenschnitt Portugal und Spanien berührte, sondern ob er nicht auch bei diesen beiden Ländern die billigere Alternative wäre, weil sie sich rascher erholten.

Ob die Syriza nach dem Schnitt tatsächlich einen Neubeginn in Griechenland schaffte, ist freilich fraglich. Bisher hat sie in fünf Monaten fast nichts geschafft. Aber die vergangenen Regierungen in 5 Jahren genau so wenig: Dass Griechenland vor Syriza bereits „auf einem guten Weg“ gewesen sei, ist ein Witz. Der Budgetüberschuss beruhte u.a. darauf, dass Kranke nicht mehr versorgt wurden; das Mini-Wachstum ist ein mathematisches Artefakt. Viel charakteristischer war, dass Verwandte von der Liste gestrichen wurden, die der IWF diesen Regierungen zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung übergeben hatte.

Natürlich war Griechenland völlig ungeeignet, in die Eurozone aufgenommen zu werden

Dies ist der eigentliche Kern des griechischen Problems: Seit Jahrhunderten betrügen Griechenlands Regenten ihre Bevölkerung. Die längste Zeit beutete eine zutiefst korrupte griechische Oberschicht die Massen im Auftrag der Osmanen aus. Dann tat sie das gleiche im Einvernehmen mit Adolf Hitler. In jüngerer Zeit kaufte sie die jeweilige Regierung und ließ sich von ihr Monopole, Schutz vor Wettbewerb und Steuerprivilegien zusichern- für die Reeder sogar per Verfassung.

Das hat die griechische Wirtschaft geprägt: Eine Mischung aus STAMOKAP Feudalsystem und Nepotismus. Und das hat das Staatsverständnis der Griechen geprägt: Sie halten es für legitim, dem Staat Steuern zu verweigern, weil er seine primitivsten Aufgaben nicht erfüllt und zu allererst der Bereicherung der Regierenden dient.

Alexis Tsipras & Co vermochten die Hoffnung zu wecken, anders zu regieren. Linke in der EU wollen das glauben; selbst viele Griechen bezweifeln es; ich eher auch. Aber selbst im besten Fall dauert es mindestens ein Jahrzehnt ehe sich in Griechenland ein geändertes Staatsverständnis (und damit z.B. eine funktionierende Finanzverwaltung) durchsetzte.

Natürlich war Griechenland völlig ungeeignet, in die Eurozone aufgenommen zu werden und das konnte auch nur geschehen, indem Frankreich und Deutschland (in guter Absicht, aber grob fahrlässig) gefälschte Haushaltszahlen akzeptierten.

Als Folge passierte bekanntlich, was auch in Spanien oder Portugal passiert ist: Verantwortungslose Banken – weit voran deutsche und französische Institute- gewährten Bürgern wie Regierungen viel zu hohe, schlecht besicherte Kredite, die dank Euro ohne Risiko-Aufschlag blieben. Die Bürger konsumierten jenseits ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten - voran deutsche Autos. Der Staat kaufte in einem absurden Ausmaß (das ihn von Spanien und Portugal unterschied) Rüstungsgüter – zuletzt voran aus Deutschland. Denn nirgends fiel Korruption leichter.

Mit der Finanzkrise versiegten die sprudelnden Geldquellen, und es blieben die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit und die Schulden

Es kam, noch mehr als in Portugal oder Spanien, zu einem Boom auf Pump mit immer höheren Löhnen, die Griechenland angesichts der viel zu geringen Produktivität endgültig jeder internationalen Wettbewerbsfähigkeit beraubten.

Mit der Finanzkrise versiegten die sprudelnden Geldquellen, und es blieben die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit und die Schulden.

Doch statt dass diese Schulden vornehmlich von den verantwortungslosen deutschen und französischen Banken getragen worden wären, verblieben sie ausschließlich bei den leichtfertigen Griechen und ihrem verantwortungslosen Staat.

Die Milliarden, die in der Folge zu dessen Rettung flossen, retteten daher vornehmlich deutsche und französische Banken (und bewahrten selbst österreichische vor höheren Verlusten.)

Es scheint mir daher nicht absolut ungerecht, dass die Haftung für Griechenland Deutschland vor Frankreich am meisten (ca.70 Milliarden) kosten dürfte – Österreich entsprechend weniger und leider die falschen Leute. Total bedient sind Esten oder Slowaken.

Auf die ebenso spannende wie emotionsgeladene Frage, wie weit Griechenland „kaputtgespart“ wurde, möchte ich kommenden Samstag in der Druck-Ausgabe eingehen. Nur soviel kursorisch: Es war immer schon ziemlich kaputt; der künstliche Boom hat es noch viel kaputter gemacht; die Troika-Forderung, sofort Budgetüberschüsse zu erwirtschaften und die Mega-Schuld schleunigst abzutragen, hat das Problem verschärft, statt es zu lösen (auch wenn die damit verknüpften Reform-Auflagen weitgehend berechtigt waren.)

1) Wachstum wird berechnet, indem man die Inflationsrate von der Wachstumsrate subtrahiert. Ist die Inflation wegen des schlechten Ganges der Wirtschaft negativ (Deflation) so ergibt die Subtraktion ein Plus weil - - + ergibt.