Gastkommentar

Donald Trump und die trügerische „Macht“ der Bilder

Das Foto des Attentats auf Trump ging in Windeseile um die Welt. Es bleibt aber abzuwarten, welchen langfristigen Einfluss es haben wird.

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Das Bild ging in Sekunden um die Welt: Das ikonische Foto von Donald Trump, aufgenommen vom Fotojournalisten Evan Vucci, zeigt den ehemaligen Präsidenten mit erhobener Faust unmittelbar nach einem Attentatsversuch. Dieses Bild hat das Potenzial, sich tief ins visuelle Gedächtnis der Öffentlichkeit einzuprägen. Bereits kurz nach seiner digitalen Verbreitung wurde es als politische Bildikone bezeichnet, die die Präsidentschaftswahl im November maßgeblich beeinflussen könnte. Diese Schlussfolgerung ist jedoch voreilig. Trotz der internationalen Schlagzeilen, die das Foto in führenden Medien wie beispielsweise dem „TIME Magazine“ oder „The Guardian“ machte, bleibt abzuwarten, welchen langfristigen Einfluss es tatsächlich haben wird.

Der Umgang mit dem Bild bestimmt sein Wirkungspotenzial.

Historische Beispiele politischer Bildikonen zeigen, dass der Einfluss solcher Bilder oft überschätzt wird. Das berühmte Foto „The Terror of War“ von Nick Út wird etwa fälschlicherweise für das Ende des Vietnamkrieges verantwortlich gemacht. Vom erschütternden Foto des toten geflüchteten Kindes Alan Kurdi am Strand von Bodrum wurde angenommen, dass es die Migrations- und Asylpolitik der EU nachhaltig verändern könnte. Doch auch hier blieb der langfristige Einfluss begrenzt.

Ikonische Bilder entstehen aus bedeutenden Ereignissen. Sie zeichnen sich durch eine auffällige und einprägsame Komposition aus, rufen starke emotionale Reaktionen hervor, verbreiten sich rasch in den Medien und unterschiedlichen Teilkulturen, werden zu Memes und gelten mit zeitlichem Abstand als Referenzbilder der Ereignisse.

Das Trump-Foto sticht aus den vielen Bildern des Moments hervor und dominiert nicht nur den unmittelbar auf das Attentat folgenden Nachrichtenzyklus, sondern auch den Wahlkampf der kommenden Wochen. Seine schnelle Verbreitung verdankt es zunächst dem außergewöhnlichen Bildaufbau und den vielschichtigen symbolischen Bezügen. Trumps Gestik und Mimik, der geöffnete Mund, die geballte Faust und die US-Fahne im Hintergrund tragen maßgeblich zur Kraft des Bildes bei. Die Dynamik des Bildes vermittelt eine flüchtige, spontane Aufnahme, was es authentisch wirken lässt. Relevant für die Ikonisierung ist auch die Bedeutung des Ereignisses und der historische Bezug auf Attentate auf US-Präsidenten.

Von besonderer Relevanz für die Wirkung eines Bildes sind die Erzählungen, auf die es trifft und in die es eingebettet wird. Trump inszeniert sich seit Jahren als Opfer einer vermeintlichen Hexenjagd und versucht, den Vorwurf der Anstiftung zu politischer Gewalt im Zusammenhang mit dem Sturm auf das Kapitol zu entkräften. Dieses Foto liefert ihm nun den ultimativen „Bildbeweis“: Er ist es, der verfolgt wird. Gleichzeitig verstärkt es sein gewünschtes Image von Stärke und Unbeugsamkeit, das er im Vergleich zu seinem Gegenkandidaten, dem amtierenden US-Präsidenten Joe Biden, ins Feld führen wird.

Ikonische Bilder werden oft für verschiedene Zwecke verwendet, und Trump wird dieses Foto zweifellos massiv instrumentalisieren. Bereits wenige Stunden nach dem Attentat wurde es für Spendenaktionen und Mailings mit dem Slogan „Never Surrender“ eingesetzt. Trump-Anhänger nutzen es als Profilbild in sozialen Netzwerken oder posten Bilder ihrer Tätowierungen mit dem Motiv.  Mittlerweile gibt es sogar eine „Trump Assassination Attempt Trading Card“, und auf X (früher Twitter) kursieren Fotos von T-Shirts mit dem aufgedruckten Motiv – ein typisches Beispiel für seine kommerzielle Verwertung.

Die Ikonisierung eines Bildes ist jedoch kein Selbstläufer. Sie ist ein aktiv gestalteter Prozess, in dem immer wieder Entscheidungen über die Form der Bildverwendung getroffen werden. Selbst die stärksten Bilder, die sich einprägen und denen man sich kaum entziehen kann, machen noch keine Geschichte. Menschen machen Geschichte, indem sie Bilder gezielt einsetzen. Bilder treffen immer auf politische Konstellationen, in denen sie bestehende Dynamiken verstärken können, aber nicht müssen. Der Umgang mit dem Bild bestimmt sein Wirkungspotenzial. 

Wer angesichts eines Fotos voreilige Schlüsse zieht, eine Richtungswahl für geschlagen erklärt und in dem Bild einen Beweis für Trumps Stärke und Unbeugsamkeit sieht, unterstützt das unweigerlich folgende Märtyrernarrativ und die Selbstmythisierung des Präsidentschaftskandidaten. Eine kritische Öffentlichkeit sollte das erhebliche Potenzial des Bildes für die Selbstinszenierung Trumps erkennen und den Blick wieder auf seine Politik und ihre justizielle Aufarbeitung richten.