Franz Schellhorn: Planlos in die nächste Krise
Franz Schellhorn
Der Direktor des Thinktanks Agenda Austria schreibt regelmäßig Gastkommentare für profil.
Europa hat drei Möglichkeiten, dem Angriff Russlands auf die Ukraine zu begegnen: Erstens mit Gleichgültigkeit, zweitens mit wirtschaftlichen Sanktionen und drittens mit Waffengewalt. Nummer eins scheidet ebenso aus wie Nummer drei, weil niemand das Risiko eines Atomkrieges in Kauf nehmen will. Bleiben also nur die Sanktionen. Sie haben zwar noch kein Regime zu Fall gebracht, sind aber dennoch unumgänglich, zumal sie Russland enorm schaden. Zu leiden haben aber auch wir Europäer, insbesondere wir Österreicher. Das hat auch sehr viel mit einer ganzen Reihe von Lebenslügen zu tun, die wir seit vielen Jahren hegen und pflegen. Der Krieg in der Ukraine legt sie schonungslos offen.
Wir sind stolz auf unsere Neutralität, die in der Bevölkerung aufgrund der aktuellen Ereignisse weiter an Zustimmung gewonnen hat. Weil die Bürger dieses Landes davon ausgehen, dass Österreich als „neutraler“ Beobachter des Weltgeschehens von jeglichen Konflikten verschont bleibt. In Wahrheit sind wir völlig wehrlos. Seit Jahrzehnten wird die Landesverteidigung als überflüssiger Luxus betrachtet. Es ist der einzige Bereich im gesamten Staatswesen, der tatsächlich mit größter Konsequenz kaputtgespart wurde und noch immer wird. Darauf zu bauen, nicht angegriffen zu werden, weil wir allen Despoten den roten Teppich ausrollen, dürfte spätestens nach den jüngsten Ereignissen zu hinterfragen sein. Mit dem EU-Beitritt haben wir zwar unsere sicherheitspolitische Trittbrettfahrerei insofern professionalisiert, als damit eine Art innereuropäische Beistandspflicht einhergeht. Aber wer springt schon gerne jemandem bei, der seine Rolle ausschließlich darin sieht, jeden militärischen Konflikt mit den Händen in den eigenen Taschen zu beobachten?
Wir lehnen die Nutzung der Kernenergie leidenschaftlich ab, importieren aber tagtäglich in rauen Mengen Atomstrom aus Osteuropa, um unseren wachsenden Stromhunger möglichst günstig zu decken – der neue Tesla will schließlich bewegt werden. Und das, obwohl viele Anbieter schwören, „Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien“ zu verkaufen. Was wiederum die Frage aufwirft, warum Erdgas dann so viele Stromversorger vor große Probleme stellt. Vielleicht ja deshalb, weil über das Verbrennen von Gas in Österreich ungefähr so viel Strom erzeugt wird wie alle Windräder und Solarzellen zusammen liefern.
Wir zeigen mit dem Finger auf umweltschädliche Kohlekraftwerke aus Polen und anderen Ländern, obwohl wir ohne diese „Dreckschleudern“ seit Jahren mit immer wiederkehrenden Blackouts zu kämpfen hätten. Aus Angst vor angeblich brennenden Wasserleitungen lehnen wir „Fracking“ mit aller Schärfe ab, um Schiefergas zu horrenden Preisen zu importieren. Wir verkünden großspurig das Ende der Abhängigkeit von russischem Erdgas. Aber niemand hat einen plausiblen Plan, wie die wegfallenden Gaslieferungen ersetzt werden könnten. In der Stromproduktion wären Kohlekraftwerke eine Alternative – nur haben wir in Österreich keines mehr, alle wurden stillgelegt.
Eine heimische Regierungsdelegation reist nach Katar, um so zu tun, als würden schon morgen mit reichlich Flüssiggas beladende Tanker in Richtung Österreich aufbrechen. Obwohl die Kapazitäten ausgeschöpft sind und der Bau des neuen Flüssiggasterminals erst 2024 abgeschlossen sein wird. Wir reden vollmundig von einem noch rascheren Umstieg auf erneuerbare Energieträger, obwohl klar ist, dass wir damit nicht durch den nächsten Winter kommen werden. Weil es viele Jahre dauern wird, bis die Alternativen tatsächlich zur Verfügung stehen, und weil wir nicht mit Strom aus im Winter stillstehenden Windrädern und kaum einsetzbaren Solaranlagen heizen können.
In Österreich werden in der Zwischenzeit die ersten Produktionsanlagen zugesperrt. Die Papierfabrik Norske Skog hat den Betrieb in Bruck an der Mur vorübergehend eingestellt. Nicht, weil es an dem für die Papierindustrie so wichtigen Erdgas fehlte. Sondern weil Letzteres zu teuer geworden ist, womit der Standort nicht mehr wettbewerbsfähig produzieren kann. Das ist erst der Anfang, eine ganze Reihe weiterer Betriebe wird folgen. Private Haushalte leiden vorerst unter hohen Spritpreisen, weshalb Rufe nach der Einführung von Preisobergrenzen laut werden. Sie sind aber keine Lösung, weil sie nichts an der Ursache stark steigender Preise ändern. Vielmehr verknappen sie das Angebot und verschärfen damit die Lage. Und sie hemmen die Innovation, die unter dem Druck hoher Preise besonders gut gedeiht.
Wenn die Politik helfen will, soll sie die exorbitant hohe Last an Steuern und Sozialabgaben senken, um die Kaufkraft der Bürger zu stärken. Hinzu kommen zielgerichtete Zuschüsse für einkommensschwache Haushalte. Und bis alternative Energieträger so weit sind, eine wirkliche Alternative zu sein, werden wir uns von der einen oder anderen Lebenslüge verabschieden müssen. Etwa von jener, dass der Umstieg auf grüne Energien günstig zu schaffen und eine sichere und saubere Energieversorgung ohne Kernreaktoren möglich ist.
Preisobergrenzen verknappen das Angebot und verschärfen die Lage.