Kolumne

Polly Adler: Das Leiden der Boomerin

Mein Fortpflanz benimmt sich wie eine Woke-Hochkommissarin. Und will, dass ich mich dabei herzhaft schlecht fühle. Not okay, Zler!

Drucken

Schriftgröße

Nur so zur Info: Habe bereits in den frühen Neunzigern einen Club transsexueller „Personen“ im Wohnzimmer bei einem Empathie-Kaffeechen sitzen gehabt, die sich über  Epilierungsmethoden ausgetauscht haben. Davor, also im Spätsommer meiner Pubertät, brav gegen Atomkraft, Waldheim, für Abrüstung und gegen die Kantinenpreiserhöhung an der Uni demonstriert. Am Flohmarkt Opa-Hemden gekauft und eingefärbt, also voll die Pre-Vintage-Welle geritten. In der Kultusgemeinde als Schabbes-Goi dort ausgestellte Bilder vor Bar- Mitzwa-Tollereien bewacht – im damals felsenfesten Glauben, damit einen wichtigen Beitrag gegen den Antisemitismus zu leisten. Bedrohte Regenwälder gestreichelt. Veganes Fingerfood schnabuliert bei Charity-Veranstaltungen zugunsten rührender Zwecke à la „zuckerkranke Kurden“ (©Josef Hader 2015, ginge heute gar nicht mehr). Feminismus immer richtig buchstabiert. Im Rahmen meiner Möglichkeiten habe ich mich bemüht , eine liberal denkende, weltoffene, von Humanismus geprägte Mitbürgerin zu sein. Dachte ich zumindest, ich white-privilege-Bitch.

Doch dann kam Stella. Das Kind, Baujahr 1994, also Generation Z , benimmt sich schon seit geraumer  Zeit wie eine Hochkommissarin des Wokeismus und stellt mich inzwischen fast  auf dieselbe Stufe wie die Jetti-Tant’. In der ideologischen Parkgarage der Jetti-Tant’ lagern alle Vorurteile, die das Unverträglichkeitsspektrum von uns braven Bieder-Bobos bedienen: Bei der Jetti-Tant’ sind alle Asylwerber Parasiten, alle Trans-Personen sollen „amal was orbeiten, damit’s den Firlefanz vergessen“, und alle Linkswähler reiten auf dem Enteignungstrip des ohnehin nicht vorhandenen Jetti-Tant’-Vermögens. Wir nennen sie auch familienintern die „Kickline“. Der Kontaktabbruch-Verordnung des Kindes habe ich mich dennoch nicht angeschlossen, denn ich finde, man muss wissen, was sich in solchen Gehirnen abspielt, um die Hintergründe der  ernüchternden  Meinungsumfragen verstehen zu lernen.

Fräulen Z ist der fixen Meinung, dass alles Übel auf diesem Erdrund meiner Generation zu verdanken ist.

Doch wieder  zurück zu der  zunehmend in Seenot geratenen Beziehung zum Fortpflanz. Da hat sich das „Narrativ“ insofern drastisch geändert (gab es eigentlich ein Leben ohne diese Idiotenphrase?), da das Fräulein Z der fixen Meinung ist, dass alles Übel auf diesem Erdrund der Konsumgier, Ignoranz und Vergnügungssucht meiner Generation zu verdanken sei: die Erderwärmung, die Salonfähigkeit eines subtilen Rassismus, die Salonfähigkeit von in haptischem Verhalten geäußerter Zuneigung seitens Vorgesetzter, die Ausbeutung der Avocado-Bauern,  die Kuhmilchunverträglichkeit, eine mit toxischen (gab es eigentlich ein Leben ohne dieses Adjektiv?) Begriffen verseuchte Sprache. Alles in allem, so die Stimme der Generation Dauerbeleidigt,  würden wir an einer erschreckend flachen Lernkurve, was gesellschaftspolitische  Veränderungen betrifft, laborieren. Zwischenfrage: Mögen Sie Ihre Kinder? Nein, ich rede hier nicht von lieben –  lieben kann man bald einmal jemanden.

Aber sind Ihnen Ihre Kinder so sympathisch, dass Sie sich mit ihnen treffen würden, auch wenn Sie nicht mit ihnen verwandt wären? Sehen Sie!

Ich wackle inzwischen bei jedem Gespräch wie auf einer über Jahre nicht servicierten Hängebrücke, in ständiger Absturzgefahr, denn man könnte ja die Gefühle von irgendjemandem verletzen. Als ich kürzlich beim „ZIB“-Konsum anmerkte, dass die Moderatorin ein fantastisches Top trägt, kam sofort ein gellendes  „Ist das dein sexistischer Ernst, dass du diese Frau auf ihr Äußeres reduzierst!“ Ich würde nie, doppelschwöre, das N-Wort in den Mund nehmen, sage also brav (with english initials of course) POC (Person of color), kassiere aber sofort einen scharfen Verweis, dass ich die indigenen Volksgruppen dabei mit Missachtung strafe und korrekterweise BPoC (Google es, Boomer:in!) sagen müsste.  „Es ist gerade sehr in Mode, Opfer zu sein“, erklärte die New Yorker Schriftstellerin Fran Lebowitz unlängst, „denken wir nur an Prinz Harry, der gerade so tut, als ob er in sibirischer Gefangenschaft groß geworden wäre. Kalter Vater, gewalttätiger Bruder. Hallo? Das nennt man Familie.“ Doch was weiß Miss Lebowitz schon, die ist schließlich Generation P, also Paläozoikum.

Okay, Hafermilchschlürferin?

Die Urlaubsvertretung für Rainer Nikowitz. Hinter dem Pseudonym Polly Adler steht die profil-Redakteurin Angelika Hager. Jeden Samstag erscheint ihre Kolumne im Magazin „freizeit“ des „Kurier“. Ab 22. Oktober läuft jeden Sonntag um 11 Uhr die Polly-Adler-Show „Knietief im Glamour“ im Wiener Rabenhof: Mit Petra Morzé & Sona MacDonald, die sich mit Sigrid Hauser abwechselt.