Präsident in der Bredouille
Wie man es macht, macht man es verkehrt. So erging es diese Woche Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen. Seit der Nationalratswahl am 29. September wartete das Land gespannt, wie er denn mit dem Wahlsieg der FPÖ umgehen werde. Nach einer ersten Gesprächsrunde zwischen ihm und allen Parteichefs – und Unterhaltungen dieser untereinander – entschied er sich für die ungewöhnliche Variante: Er beauftragte nicht FPÖ-Chef Herbert Kickl als Wahlsieger mit der Bildung einer Koalition – sondern den amtierenden ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer, der die Herausforderung annahm. Dass er dafür aber postwendend lautstarke Kritik von der ÖVP kassieren würde, damit hat er wohl nicht gerechnet.
„Es ist eigentlich unverantwortlich, Herbert Kickl so schnell aus der Verantwortung in die Märtyrer-Rolle und ins Schmollwinkerl zu entlassen“, sagte der steirische Landeshauptmann Christopher Drexler am selben Abend in der „Zeit im Bild 2“. Er befand, dass der Bundespräsident nicht mit der Gepflogenheit hätte brechen sollen, den Wahlsieger mit einem Regierungsbildungsauftrag zu betrauen.
Freilich ist Drexler nicht dieser Meinung, weil ihm die Traditionen in der Hofburg ein so großes Anliegen sind. Oder weil er tatsächlich findet, Herbert Kickl sollte Regierungsverantwortung bekommen. Im Gegenteil: Er will ihn scheitern sehen.
Denn schon die ersten Gespräche ergaben, dass es wohl keine Partei gibt, die mit der FPÖ koalieren will. Van der Bellen führte dieses Faktum auch für seine Entscheidung an. SPÖ-Chef Andreas Babler hatte Blau-Schwarz kategorisch ausgeschlossen – und auch ÖVP-Kanzler Karl Nehammer steht zu seinem Wort, selbst wenn Teile seiner Partei gerne mit den Blauen regieren würden.
Einer gegen alle?
Herbert Kickl findet das freilich ungerecht und gemein – wieder einmal sei das „System“ gegen ihn, ist seine Botschaft. Er zelebriert das auf allen Kanälen – erntet dafür Tausende Likes und Kommentare. Ja, diese Dynamik wird Kickl bei den anstehenden steirischen Landtagswahlen am 24. November wahrscheinlich helfen. Die FPÖ lag dort bei der Nationalratswahl (trotz Finanzskandal) mit 32,2 Prozent (+13,7 Prozentpunkte) bereits auf Platz eins. Verständlich, dass Drexler Panik bekommt.
Und ja, Kickl wäre wahrscheinlich gescheitert. Und dann? Die „Alle gegen uns“-Erzählung hätte genauso funktioniert. Selbstreflexion gibt es auf Seiten des blauen Parteichefs keine: Dass „alle“ gegen ihn sind, könnte ja Gründe haben. Einer könnte möglicherweise sein, dass er die vergangenen Jahre seine politischen Mitstreiter teils übelst beschimpft und diffamiert hat. Auch wenn Österreichs Wahlergebnis zeigt, dass der Wähler ein historisches Kurzzeitgedächtnis hat (Stichwort Ibiza), haben die Spitzenpolitiker eine gute Erinnerung an blaue Eskapaden und alles, was danach passiert ist.
Ein Gedankenexperiment: Nehmen wir an, sie würden Kickl verzeihen, weil er sich ehrlich entschuldigt. Nehmen wir an, die Steiermarkwahl endet mit einer Wahlschlappe für ÖVP und SPÖ. Nehmen wir an, Nehammer kann den Auftrag des Präsidenten nicht erfüllen, weil er mit der SPÖ inhaltlich nicht zusammenfindet. Nehmen wir an, man kreidet ihm das innerhalb der eigenen Reihen derart an, dass der Pro-FPÖ-Flügel Oberwasser bekommt und einen Konkurrenten aufstellt, der ihn schließlich ablöst. Nehmen wir an, dass in der SPÖ bei gescheiterten Gesprächen mit den Schwarzen eine ähnliche Entwicklung eintritt. Und nehmen wir an, Kickl würde es am Ende doch entgegen aller Erwartungen schaffen, jemanden zu einer Koalitionsehe mit ihm zu bewegen.
Die nächste Bredouille
Was tut Van der Bellen dann? Er wäre in der nächsten Bredouille. Er steht dann vor der Entscheidung, ob er Herbert Kickl als Kanzler angeloben soll. Es wäre schwierig abzulehnen, wenn er ihm vorher einen Regierungsbildungsauftrag erteilt hat. Van der Bellen persönlich könnte es theoretisch egal sein – es wird seine letzte Amtsperiode sein. Aber das Klientel seiner Partei, den Grünen, hat hier die dementsprechende Erwartung, es nicht zu tun.
Kickl aus rein taktischen Gründen einen Regierungsbildungsauftrag zu erteilen, um ihn dann scheitern zu sehen – das hätte nicht nur ein hohes Risiko bedeutet, dass er womöglich doch erfolgreich ist, sondern wäre auch leicht durchschaubar gewesen. So kann der Bundespräsident zumindest erhobenen Hauptes zu seiner ehrlichen Meinung stehen. Und die lautet, dass ein Herbert Kickl als Kanzler untragbar ist. Sein Amt erlaubt ihm, dementsprechend zu handeln. Es gehört zu einer Demokratie, auch das zu respektieren.