Robert Treichler: Doch, so sind wir!

Robert Treichler: Doch, so sind wir!

Warum Österreich am Fiasko der „Sea-Watch 3“ eine Mitschuld trifft.

Drucken

Schriftgröße

Warum brauchte es Carola Rackete, damit 40 Menschen nach mehr als zwei Wochen des Ausharrens auf einem Rettungsschiff an Land gehen konnten? Warum war die Kapitänin gezwungen, das Verbot der italienischen Behörden zu missachten und die „Sea-Watch 3“ in den Hafen von Lampedusa zu steuern? Wer trägt Schuld an dieser Misere? Und: hat Österreich auch etwas damit zu tun?

Die Situation der „Sea-Watch 3“ war von dem Moment an kritisch, als sie am vergangenen 12. Juni 53 Afrikaner an Bord nahm. Zurück nach Libyen, wo sie hergekommen waren, durften die Geretteten nicht gebracht werden – das verbietet ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR). Italien wiederum weigerte sich, das Schiff einlaufen zu lassen. Innenminister Matteo Salvini von der rechtsextremen Partei Lega begründete dies damit, dass „Italien keine Anlegestelle für Illegale“ sei. Damit gab es für die „Sea-Watch 3“ kein Vor und kein Zurück.

Politische Strategie

Diese unvermeidliche Ausweglosigkeit ist das Resultat einer politischen Strategie, an deren Wiege die ehemalige türkis-blaue Bundesregierung in Österreich stand. Sebastian Kurz war es, der dem „NGO-Wahnsinn“ im Mittelmeer Einhalt gebieten wollte, unter anderem mit Anlandestellen in Nordafrika, an denen Gerettete ohne menschenrechtliche Probleme abgeladen werden sollten. Die Utopie versandete zwar, gab Salvini aber die politische Rückendeckung dafür, Seehäfen zu blockieren – was zur paradoxen Situation führte, dass Schiffe mit Migranten an Bord nirgendwo mehr landen können.

Mit diesem Dilemma kann Salvini gut leben, bietet es ihm doch immer wieder Gelegenheit, seiner ausländerfeindlichen Wählerschaft Härte zu demonstrieren. Auch die Regierung Kurz bewies eine konsequente Haltung darin, sich nicht um das Schicksal von Menschen zu kümmern, die auf Rettungsschiffen festsaßen. Wann immer Aufnahmestaaten für Gerettete gesucht wurden – Österreich war nicht dabei.

Auf der Suche nach Aufnahmestaaten

Doch die türkis-blaue Bundesregierung ist Geschichte, und während der traurigen Episode der „Sea-Watch 3“ war bereits die sogenannte Expertenregierung unter Kanzlerin Brigitte Bierlein im Amt.

Noch bevor Kapitänin Rackete in einer Mischung aus Verzweiflung und Mut in den Hafen einlief, war die Europäische Kommission hinter den Kulissen damit beschäftigt, Aufnahmestaaten für die noch verbliebenen 40 Afrikaner zu finden. So agiert sie nur, wenn sie darum gebeten wird, was laut profil-Informationen der Fall war.

Bereits vor der Festnahme von Rackete hatte Deutschland signalisiert, einige der Geretteten aufnehmen zu wollen. Bundesinnenminister Horst Seehofer verlangte jedoch, dass auch andere europäische Staaten diesem Beispiel folgen müssten.

Was tat die österreichische Regierung? Gar nichts.

Österreich sei „von der EU nicht gefragt“ worden

Gegenüber profil gab ein Sprecher des Innenministeriums an, man sei „von der EU nicht gefragt“ worden. Die EU-Kommission gibt über das Prozedere keine Auskunft; es erscheint aber durchaus glaubhaft, dass man die Regierung in Wien nicht kontaktierte. Schließlich war man dort in ähnlichen Fällen noch nie auf offene Ohren gestoßen.

Aber selbstverständlich hätte Österreich von sich aus anbieten können, ein paar der Flüchtlinge ins Land zu holen. Bei einer Gesamtzahl von 40 Personen wäre das ohnehin eine weitgehend symbolische Aktion gewesen. Weshalb blieb die Regierung stumm? Möglicherweise deshalb, weil sie sonst eine Abkehr von der Haltung der Vorgängerregierung signalisiert und damit ein politisches Zeichen gesetzt hätte. Und das wagt die Expertenregierung nicht.

Überdurchschnittliche Verantwortung

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hingegen äußerte sich sehr wohl: „Wenn ich in Österreich an einem Binnensee ein Boot in Not sehe und nicht zu Hilfe eile, dann werde ich bestraft wegen unterlassener Hilfeleistung – aber ich werde nicht dafür bestraft, wenn ich diese Hilfe leiste.“ Für diese Aussage wurde der Bundespräsident gelobt.

Allerdings schreckte auch er vor der Forderung zurück, Österreich solle sich an der Verteilung der Flüchtlinge beteiligen. Tatsächlich hat Österreich durchaus eine überdurchschnittliche Verantwortung für die wenigen, die es über das Mittelmeer schaffen. Wir waren so sehr daran beteiligt, ihnen den Weg abzuschneiden, dass wir zumindest eine Antwort darauf geben sollten, was mit den paar Dutzend passiert, die dennoch vor unserer Tür stehen. Das Argument, dass eine Aufnahme von 40 Personen einen unübersehbaren Strom von Flüchtlingen nach sich ziehen würde, wird hoffentlich niemand bemühen. Am Ende haben sich fünf Staaten für die 40 Menschen gefunden: Deutschland, Frankreich, Portugal, Luxemburg und Finnland. Autriche: zero.

Erst war die Republik Österreich aus ideologischen Gründen verhindert; nun ist sie es, weil sich die neue Regierung um den Erhalt ihrer unpolitischen Experten-Aura bemüht.

So gesehen war es unter Kanzler Kurz besser. Gegen ideologische Positionen lässt sich argumentieren. Kurz muss sich für die Unzulänglichkeit seiner Lösung rechtfertigen. Unpolitisches Schweigen hingegen entzieht sich der Debatte. In aller Stille ist Österreich auch diesmal nicht im Kreis der solidarischen Nationen zu finden.

„So sind wir nicht“, hatte Van der Bellen unter dem Eindruck des Ibiza-Videos vor wenigen Wochen beschwörend gesagt.

Doch, leider, so sind wir.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur