Rainer Nikowitz
Satire

Rainer Nikowitz: Ausweisungskontrolle

Die Russophobie wird immer schlimmer: Jetzt wirft Österreich auch noch jeden 36. russischen Diplomaten aus dem Land!

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Seine Exzellenz war mittelschwer indigniert. Eben noch hatte Herr Botschafter dem angesichts seiner impertinenten Importanz angemessen staunenden Publikum huldvoll die letztgültige Wahrheit über den Krieg in der Ukraine, den es ja gar nicht gab, dargelegt. Über blau-gelbe Nazis, die sardonisch grinsend jene Krankenhäuser in Mariupol in die Luft sprengten, in denen ihre eigenen Omas lagen, oder die sich in Butscha reihenweise selbst fesselten, um anschließend mittels Genickschuss Massenselbstmord zu begehen – und mit all diesen ruchlosen Taten natürlich nur eines im Sinn hatten: den schon seit Jahrzehnten latent tadellosen Ruf der friedliebenden Großrussischen Föderation zu besudeln. 

Aber kaum hatte sich Dimitri Ljubinskij, Geschäfts- und Geheimnisträger in Wien, im Interview mit profil seiner diplomatischen Darmwinde entledigt, geschah Ungeheuerliches: Das offizielle Österreich rümpfte die Nase! Und zwar in der traurigen Gestalt ihres Außenministers, der sich die Frechheit erlaubte, Seine Exzellenz ins Ministerium zu zitieren – ganz so, als hätte die nichts anderes zu tun. 

Nicht, dass dieser Schallenberg bei seiner Predigt jene Härte an den Tag gelegt hätte, die man von seinen Spezialeinsätzen gegen Oppositionelle im Parlament in Wien oder Kinder im Lager in Moria kannte. Aber die Unverfrorenheit, mit der er Seiner Exzellenz zu verstehen gab, dass sie solche Sachen in Österreich doch bitte schön wenigstens etwas leiser sagen möge, markierte dennoch einen neuen Tiefpunkt in den traditionell von einem grundvernünftigen Missverhältnis und einem soliden Machtgefälle geprägten diplomatischen Beziehungen. 

Jeder wusste, warum zehn Mal so viele russische Diplomaten in Wien waren als umgekehrt Österreicher in Moskau, da musste man jetzt gar nicht so tun. Das war angesichts der schieren Größe Österreichs doch kein Wunder! Jeder einzelne russische Botschaftsangehörige leistete Übermenschliches, um diese enorme Fläche würdig zu beackern und die Interessen seiner Landsleute zu wahren, ihnen bei Problemen mit der horrenden Grunderwerbssteuer beim Drittvilla-Kauf in Kitzbühel zu helfen oder mit inakzeptablen Lieferkettenunterbrechungen bei Chanel-Taschen am Wiener Kohlmarkt zu helfen. Manchmal galt es vielleicht auch, sie auch vor allzu überzogenen Folgen bedauerlicher Schusswaffenunfälle in zufälliger Gegenwart von exil-tschetschenischen Kadyrow-Gegnern zu bewahren – you name it! Es gab ja so viel zu tun! 

Aber: Sicherlich war niemals nicht auch nur kein einziger von Putin nach Wien geschickter Russe ein Spion, der aus der Kälte kam, gewesen! Da konnte die NATO-Propaganda noch so oft das Gegenteil behaupten. Russische Agenten? In Wien? Ich bitte Sie!

Umso schockierter, ach, was sag ich: devastierter! war Seine Exzellenz, als ihr tags darauf auch noch das bis dato völlig Undenkbare mitgeteilt wurde: Vier russische Diplomaten wurden des Landes verwiesen! Vier! Das würde zu nichts weniger führen als zu einem umgehenden völligen Zusammenbruch der bilateralen Beziehungen. Vier!! Dann blieben ja nur mehr … 146! Nach all den Exzessen quer durch Europa, die schon Hunderte harmlose, unbescholtene Russen ihre steuerbefreiten Existenzen in den miesesten Slums westlicher Hauptstädte gekostet hatten, dachten viele, es könnte nicht mehr schlimmer werden. Und dann erreichte die Russophobie ausgerechnet im angeblich so gemütlichen Wien einen traurigen Höhepunkt! Jetzt wusste Seine Exzellenz, wie sich diese armen IS-Kämpfer gefühlt haben mussten, wenn ihnen in den Kommentaren zu ihrem neuesten Enthauptungsvideo auf YouTube so ungeheuer viel Islamophobie entgegengeschlagen war.  

Diese Österreicher waren wirklich zu allem fähig. Das war nach all den Jahren, in denen man von ihnen deutlich mehr Schleimspuren als Fußabdrücke gesehen hatte, einfach ein Affront. Man konnte mittlerweile ja nicht einmal mehr ausschließen, dass sie den feindlichen Akt begehen würden, in zehn, 15 Jahren tatsächlich von russischem Gas unabhängig zu sein, wenn sie sich jetzt schon in derartiger Insubordination ergingen. Also galt es, den Anfängen zu wehren. Diese Ungeheuerlichkeit musste beantwortet werden, entschlossen, rasch – und reziprok. Das Einzige, das einer völlig deckungsgleichen Retourkutsche vielleicht ein bisschen im Wege stand, war, dass Österreich keine vier Spione in Moskau hatte. Aber es brauchte dennoch nicht glauben, dass es aus dieser Geschichte schmerzlos wieder rauskam. Es würde nämlich nicht mit den vier Gegen-Ausweisungen von Gusenbauer, Schüssel, Kern und Kneissl getan sein. Wer nicht hören wollte, musste schließlich fühlen.

Also mussten sie die Netrebko auch behalten. 
 

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz