Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Being Erwin Pröll

Being Erwin Pröll

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An dem Tag, an dem sich Erwin Pröll nach reiflicher Überlegung entschloss, doch nicht die Weltherrschaft zu übernehmen – und er tat dies trotz der eindringlichen und einstimmigen Bitte der UN-Generalversammlung, des tränenerstickten Flehens von Barack Obama, des Erscheinens der neuesten, an unautorisierter haltloser Begeisterung ­sogar noch die vorherige überbietenden Biografie von ­Gabriel Garcia Marquez ­(„Erwin Pröll – Die Liebe in ­Zeiten der Cholerik“), des ­Nummer-eins-Smashhits „Erwin:ner“ von Lady Gaga und des monatelangen, in einem zarten Hauch von Nichts durchgeführten Stalkings von Angelina Jolie –, an diesem Tag erstarb das Nordlicht über Lappland, blieb der Golfstrom konsterniert stehen und atmete Heinz Fischer tief durch.

Es war Erwin natürlich bewusst, was er damit anrichtete. Wie viele Menschen er damit in ein Tal der Tränen stürzte. Aber er konnte nun einmal nicht anders.

Wie so oft in seinem Leben, dieser gülden glänzenden Kette großherziger Taten, genialer Ideen und brillanter Reden, war es seine wohl herausragendste Eigenschaft, die ihn daran hinderte, dem wohl noch vor der Herstellung des Weltfriedens dringlichsten Wunsch zwischen Paris und Peking – denn seine Machtübernahme hätte ja ohnehin zweifellos sofort den Weltfrieden gebracht, ebenso allen Staaten bis hin zu Bangladesch und Simbabwe das Triple-A beschert und den Klimawandel zum Auswandern auf den Saturn bewogen – zu entsprechen. Nämlich seine grundsympathische, grenzenlose Bescheidenheit. Und wohl auch seine Verletzlichkeit.

Nein, der Erwin aus Radlbrunn war bei Gott keiner, der sich gern in den Vordergrund drängte. Weder, wenn es galt, auch nur den Hauch einer Verantwortung für das Skylink-Debakel oder die verzockten Wohnbaufördergelder Niederösterreichs zu übernehmen, noch bei anderen Gelegenheiten, die weitaus weniger in den Herzen ihrer Mitbürger verwurzelte Politiker als der bodenständige Bauernbursch so gern zur peinlichen Selbstdarstellung nutzten. Das hätte auch so überhaupt nicht zu Erwin gepasst. Denn ihm war nun einmal nichts peinlich.

Damals, als er gleich zweimal hintereinander auf seinen absolut sicheren Erdrutschsieg bei der Wahl zum Bundespräsidenten verzichtet hatte, war es ja genauso gewesen. „Nein“, hatte Erwin demütig gehaucht, als ihn Wolfgang Schüssel 2004 in seinem Versteck, einem Veltliner-Fass in einem Herrnbaumgartner Weinkeller, ausfindig gemacht und in den Schwitzkasten genommen hatte, um ihn in einem allerletzten, verzweifelten Versuch doch noch in die Hofburg zu zwingen. „Man braucht mich bei der Eröffnung des Zwetschkenkirtags in St. Hildegund am Blasenstein!“

Und 2010 war es ja fast noch schwieriger gewesen. Er hatte seinem Neffen schon nie die Süßigkeitenlade vor der Nase zusperren können, als der noch ein Kind war. Aber so sehr ihn der brave Bub auch bekniete, Erwin möge doch bittebitte nicht noch einmal das Präsidentenamt ablehnen, bloß, weil es ihm so widerstrebte, sich mit all diesen Insignien der Macht selbst zu erhöhen und bei Staatsbesuchen mit Messer und Gabel zu essen – es half nichts. Erwin blieb eisern das, was er immer gewesen war und woran auch nichts und niemand auf der Welt jemals etwas ändern würde: ein überzeugter Provinzler.

Doch wurde ihm das gedankt? Nein. Denn als er dann klug versuchte, die völlig ohne sein Zutun angeschlagenen Staatsfinanzen zu sanieren – dass Niederösterreich nach den bekannt weitblickend wirtschaftenden Kärntnern den zweithöchsten Schuldenstand pro glücklichen Landesbürger hatte, konnte man ihm nach gerade einmal kümmerlichen 20 Jahren als Landeshauptmann ja nun wirklich nicht anlasten –, indem er anregte, das doch ausnehmend kostenintensive Amt des Bundespräsidenten überhaupt abzuschaffen, geschah ihm, wie so oft, schreckliches Unrecht.

Kleingeister, die diesen wie stets bei Erwin von der Sorge um das große Ganze getragenen Vorstoß bewusst missverstehen wollten, krochen aus ihren Löchern und erhoben lachhafte Vorwürfe gegen ihn.

Wie konnte jemand, der das politische Wirken Erwins verfolgt hatte, das selbst kritische Beobachter gerne als eine Mischung aus Mahatma Gandhi und Franz von Assisi bezeichneten, jemals davon ausgehen, Erwin sei dermaßen eitel und kindisch, sich die Blöße zu geben, ein Amt nur deshalb abschaffen zu wollen, weil er es nicht bekommen hatte? Wie konnte nur irgendwer glauben, dass ausgerechnet Erwin so etwas Deppertes tun würde?

Mag sein, dass diese unerfreuliche Reaktion so mancher verantwortungsloser Spitzbuben damals ihre Spuren hinterlassen hatte. Wer weiß das schon? Wer zählt schon die Schrammen in einer sensiblen Seele wie der des Schöngeists aus St. Pölten? Aber dann durfte sich auch keiner wundern.

Nicht Barack, der gerade zum x-ten Mal Erwins Handynummer, die er längst auswendig konnte, wählte – und wieder hob niemand ab. Und auch nicht Angelina, die sich in eben dieser Sekunde schluchzend ersatzhalber Michael ­Häupl an den Hals warf. Niemand. Denn niemand hatte Erwin verdient.

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