Checkpoint Charlie

Rainer Nikowitz: Checkpoint Charlie

Rainer Nikowitz

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profil: Sie sind also auch Charlie. Wer waren Sie denn vorher, wenn ich fragen darf?
Charlie: Das tut nichts zur Sache, denn ich bin für persönliche Eitelkeiten nicht zu haben. Wichtig ist einzig und allein, wofür ich stehe.

profil: Und das haben Sie ja mit der Änderung Ihres Facebook-Profilbildes eindrucksvoll klargemacht.
Charlie: Nicht nur damit, wie ich meine. Sie vergessen die ganzen tranigen Tweets dazu, von „Die Feder ist mächtiger als das Schwert!“ bis „Erst, wenn der letzte Fisch gefangen ist …“ Ach so, nein. Das war ein anderes Mal.

profil: Ich bin mir sicher, das Echo ihres mutigen Einsatzes war bis nach Rakka zu hören. Haben Sie eigentlich keine Angst?
Charlie: Hören Sie: Ich habe mich nicht einmal damals einschüchtern lassen, als mich bei dieser Mahnwache ein als Blinder getarnter Neonazi dermaßen angerempelt hat, dass ich mir mit einem heißen Wachstropfen meiner Kerze eine schlimme Brandblase zugezogen habe – und ich lasse mich auch jetzt nicht einschüchtern!

profil: Die schrecken echt vor nichts zurück, diese Rechten. Und auch typisch, dass die die Ersten waren, die die Toten von „Charlie Hebdo“ sofort vereinnahmt haben.
Charlie: Ja! Dabei war das doch eine eindeutig linke Redaktion! Da sieht man eben wieder einmal die moralische Verkommenheit dieser ganzen Pegida-SS.

profil: Man könnte jetzt allerdings einwenden, dass die Art, wie „Charlie Hebdo“ mit dem Islam umgesprungen ist, auch nicht gerade der doch ziemlich strengen linken Sprachregelung entsprochen hat. Und als damals die Mohammed-Karikaturen erschienen sind, herrschte bei der Linken eigentlich einhellig die Meinung vor, dass das eine üble rechte Provokation sei.
Charlie: Na ja … Ich muss zugeben, wie ich die Mohammed-Karikaturen gesehen hab, hab ich mir auch gedacht: Muss man unbedingt die religiösen Gefühle unserer muslimischen MitbürgerInnen dermaßen beleidigen? Wo man doch eh weiß, wie sensibel die sind? Ich meine, wenn Karikaturisten den Papst zeichnen, von mir aus auch beim Arschficken, bin ich der Erste, der sagt: Das ist berechtigte Religionskritik und für die muss in einer pluralistischen Gesellschaft allemal Platz sein. Aber beim Islam ist das nun einmal … nun ja: rassistisch.

profil: Warum?
Charlie: Na …, weil das die sind. Und nicht wir.

profil: Das ist ein Argument.
Charlie: Das rechtfertigt natürlich in keiner Weise, was in Paris passiert ist! Aber …

profil: Aber?
Charlie: Genau: aber! Wir haben übrigens noch nicht betont, dass dieser schreckliche Terror nichts mit dem Islam zu tun hat.

profil: Stimmt. Wollen wir es vielleicht zweistimmig singen, damit es sich noch ein wenig feierlicher anhört?
Charlie: Ach, das passt schon. Ich denke, die Botschaft ist bei allen Gutwilligen angekommen.

profil: Womit aber dann?
Charlie: Wie?

profil: Na ja, wenn Terroristen einen quasi vor die Wahl stellen, entweder Allah anzubeten oder als Ungläubiger zu sterben – womit hat das dann zu tun, wenn nicht mit dem Islam? Mit dem Buddhismus? Oder der Fifa? Miley Cyrus?
Charlie: Islamophobie ist ein viel zu ernstes Thema, um es so ins Lächerliche zu ziehen.

profil: Natürlich. Außerdem sind ja Sie Charlie – und nicht ich.
Charlie: Wenn sich junge Männer dermaßen radikalisieren, dass sie nach Syrien fahren müssen, um dort Köpfe abzuschneiden, dann ist das ein klares Versagen der Integration. Also von uns.

profil: Von wem auch sonst.
Charlie: Ich habe auch sofort, wie ich von dem Anschlag in Paris gehört habe, auf Facebook gepostet: „Oje! Das wird eine ungute Debatte geben!“

profil: Das muss klarerweise der erste Gedanke sein, den ein kritischer Humanist dazu hat.
Charlie: Und leider habe ich wieder einmal Recht behalten.

profil: Als Linker redet man am besten nach wie vor überhaupt nicht über den Islam in Österreich, oder?
Charlie: Doch, warum nicht? In einer Gourmetkritik über ein Halal-Haubenlokal oder beim einen oder anderen Begeisterungsausbruch über eine voll emanzipierte Burkaträgerin …

profil: Und darüber, dass es bei Themen wie Frauen, Homosexualität oder überhaupt Menschenrechten möglicherweise leichte Auffassungsunterschiede gibt?
Charlie: Da muss man schon tolerant sein.

profil: Und wie wollen Sie wirklich gläubige Muslime davon überzeugen?
Charlie: Das war jetzt ein Missverständnis. Ich meinte: Wir müssen tolerant sein.

profil: Mein Fehler.
Charlie: So werden Sie nie Charlie.

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