profil-Kolumnist Rainer Nikowitz
Rainer Nikowitz: Denkmalschutz

Rainer Nikowitz: Denkmalschutz

Walter Meischberger sagt, der Böse bei der Buwog sei nicht KHG gewesen – sondern Jörg Haider! Das werden sie in Kärnten gar nicht gern hören.

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Dem Wuschnigg Edi war gleich aufgefallen, dass etwas nicht in Ordnung war. Er war immer der Erste, der zu den Treffen der Jörgl-Gebetsliga kam, weil er vorher die Kirche ein wenig herrichtete. Beim Wirten hieß er nur „der Mesner“. Und der richtige Mesner, also der von der Pfarrkirche, war einfach der Sepp. Da konnte man schon sehen, welche Kirche die wichtigere war in Deutsch-Meschnitz. Obwohl die katholische, so ehrlich musste man sein, rein äußerlich schon mehr hermachte. Aber als sie damals angefangen hatten, war der ehemalige Kuhstall vom Abwerzinger Helmut eigentlich das einzige Gebäude gewesen, das infrage gekommen war. Die alte Keusche, aus der die Robotnig Marie zwei Jahre vorher herausgestorben war, die wäre schöner gewesen. Aber da die Robotnig damals diese eine Woche im Juli gar nicht am Strand in Caorle gelegen war, wie alle gedacht hatten, sondern tot auf dem Boden von ihrer Küche, hatte der Kuhstall das olfaktorisch auf eher bescheidenem Niveau abgelaufene Match gewonnen.

Aber ihre Kirche war immerhin schöner als die von den Saurachbergern. Und von der in Tragail gar nicht zu reden. Die war in einer aufgelassenen Selbstbedienungstankstelle. Eine Katastrophe, vom Flair her. Da konnten die Deutsch-Meschnitzer schon zufrieden sein. Und außerdem, was ja noch wichtiger war: Der Besuch stimmte. Ein Mal in der Woche, immer am Freitagabend, jenem Abend also, der sich einst im 2008er-Jahr so verhängnisvoll bis in den frühen Samstag gezogen hatte, war die Hütte voll. Da konnte sich der Pfarrer alle zehn Finger abschlecken, so einen Besuch hatte der am Sonntag nicht. Nicht einmal, wenn alle seine Kinder kamen.

Als der Wuschnigg Edi nun an diesem Freitagabend in die Kirche kam, sah er als Erstes, dass etwas vom Altar heruntergefallen war. Er bückte sich und hob es auf. Es war ein Backstage-Pass für die „Schlagernacht am Wörthersee 2006“. Der Edi wollte ihn eben wieder zu den anderen Erinnerungsstücken hängen, die rund um das Allerheiligste mit der Reliquie gruppiert waren – eine in Plexiglas eingegossene Haarlocke, die die Fehrlinge Herlinde dem Jörgl einst an der Bar beim Damtschacher Ü-30-Clubbing beim Würfelpoker abgeknöpft hatte –, als sein Blick auf das Foto fiel. Er erstarrte. Auf dem Foto, das er selbst, der Wuschnigg Edi, aus seinem Privatfundus für den Altar gestiftet hatte und das ihn beim Empfang der Bronzemedaille für den dritten Platz bei der Motorsägen-Schnitz-Olympiade zeigte – fehlte der andere. Der Landeshauptmann, der den Edi damals, an seinem größten Tag, geehrt hatte – er war weg. Nur ein heller Fleck war geblieben, wo einst Jörgls Lächeln den Edi und seinen fast fertigen Nashornkopf aus Fichte angestrahlt hatte. Man hätte meinen können, das Foto sei einfach in der Sonne ausgebleicht. Aber Edi ahnte schon, dass er es besser wissen musste.

Er fuhr herum. Ein Kerzenleuchter war umgestürzt und hatte eine Jörgl-Kaffeetasse zertrümmert. Ein Fanschal war aufgetrennt, ein Jörgl-Feuerzeug leer, und auf den Sitz, auf dem bei der Andacht immer die Helferer Heideltrude saß, hatte ein Vogel geschissen. Kein Zweifel: Hier stimmte etwas nicht. Die Elemente waren in Aufruhr.

Und als dann die anderen Gläubigen langsam in die Kirche strömten und der Golautschnig Hannes mit düsterer Miene auf ihn zusteuerte – da verstand der Edi endlich, was hier los war.

„Ma schändet sei Ondenken“, raunte der Hannes kehlig und reichte ihm eine Zeitung. „Schon wieder!“ Hastig überflog Wuschnigg Zeilen, aus denen der kondensierte Wahnsinn des Unglaubens troff: „Meischberger entlastet Grasser im Buwog-Prozess: ‚Es war Haider!‘“ Jetzt war die Sonne schon wieder vom Himmel gestürzt. Bebend zerknüllte Edi das Machwerk und wandte sich der Gemeinde zu. „Ihr wisst’s, was das bedeutet?“ Die Hubinger Steffi nickte: „Forenoffensive! Und für die mit der nicht nachverfolgbaren Kofferschreibmaschine: ‚Das freie Wort‘.“ „Und dos is bloß der Anfang“, flüsterte der Edi heiser. „Ruaft’s an de anderen Kirchen! Mir demonstieren gemeinsam! Karntna-Anzug, Unfallfotos, Mossad-go-home-Schilder, Riesen-Schaumgummi-Finger vom Beachvolley, Marketenderinnen mit an Zirbenen – dos volle Programm!“

Beifall brandete auf. Die Gemeinde war begeistert, der Potutschnig Lois sprang sogar auf, riss sich sein Toupet vom Kopf und warf es hoch in die Luft. Es war an der Zeit, endlich ein Zeichen zu setzen. Sie würden aufstehen und den Mund aufmachen. Wie in letzter Zeit so viele andere vermeintliche und vormals schweigende Mehrheiten auch. Und sie hatten noch dazu einen wirklich guten Grund: Ketzerei.

„Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“, rief einer. Doch niemand hörte hin. Hier hatten alle andere Pläne. Und der Herr offenbar auch. In der Ferne hörte man dumpfes, lang anhaltendes Grollen. Da braute sich ein Sturm zusammen. Die hatten angefangen. Das hatten sie jetzt davon.

Rainer   Nikowitz

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