Satire

Die rechtsextreme Wahnsee-Konferenz

Rechtsextreme mit Verbindungen zu AfD und FPÖ plaudern über Volksverrat und „Remigration“ – was man halt so redet unter Freunden.

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Martin Sellner sah sich um im weiten Rund, das ihn stimmungsmäßig irgendwie an den guten alten Berliner Sportpalast erinnerte. Und er sah, dass es gut war. Erhabene Gefühle wogten in ihm hoch, und mit einem Mal fühlte er, wie sein nationaler Stolz anschwoll. Das machte aber nichts, denn er hatte zum Glück in weiser Voraussicht seinen langen Ledermantel angezogen. Der entsprach dem Anlass also gleich in mehrfacher Hinsicht.

Nur die Besten der Besten waren heute gekommen, die glorreichen Führer vieler, wie Herbert Kickl sagen würde, „echter NGOs, die absolut interessant und unterstützenswert“ waren. Also die Krone der Schöpfung praktisch. Und die hatte sich heute in Potsdam versammelt, um wie immer ausschließlich ihrem heiligsten Ziel zu dienen: das deutsche Wesen genesen zu lassen – und nicht verwesen. Und vor diesem erlauchten Gremium, vor dieser reinblütigen Elite würde Martin gleich referieren dürfen, über sein Jahrhundert-Projekt der „Remigration“.

Wer hätte das gedacht? Dass er einmal ein Vordenker sein würde, ein gefeierter, feuriger Redner. Da waren nachträglich einige Entschuldigungen fällig, von Leuten, die ihm das nie zugetraut hätten. Eigentlich eine ziemlich lückenlose Reihe von Leuten. Die im Kindergarten ihren Anfang nahm. Aber die würden ohnehin alle noch schön schauen. Die kamen alle auf Martins Liste. Als Remigrationsbegleiter. Denen würde es dann sicher gefallen, im Tschad oder wo.

Gleich gegenüber vom ihm saß Uwe, Chefideologe der Kampfesbrüder aus Sachsen-Anhalt. Uwe hatte sich in ihren Kreisen mit seiner Sicherheitsfirma einen Namen gemacht. Also in den Augen des Systems war es eine illegale Hundezucht gewesen, aber was wussten die schon. Uwe hatte Wachhunde gezüchtet, die alle Ethnien bissen – nur keine Reindeutschen. Das war ein langer, harter Weg, einen Hund so abzurichten. Uwe war oft wochenlang nicht zum Duschen gekommen, damit da beim Training geruchstechnisch auch wirklich keine Zweifel bestanden. Nun könnten Beckmesser einwenden, dass es einerseits zwar vom völkischen Gesichtspunkt aus betrachtet eh 1A sei, den deutschen Schäfer dergestalt an seine Wurzeln zu erinnern – dass aber andererseits Wachhunde, die deutsche (oder deutsch-österreichische, was aber eh dasselbe ist) Einbrecher wedelnd begrüßten, eher ihren Zweck verfehlten. Das wäre auch nicht völlig von der Hand zu weisen – wenn Uwe die ideologiefesten Tierchen nicht ausschließlich an türkische oder arabische Geschäftsleute verkauft hätte! So gefinkelt war der nämlich.

Gleich neben Uwe saß Götz-Herbert aus Castrop-Rauxel, in dem viele von ihnen schon den kommenden Familienminister sahen – war er doch der absolute Reinheitsfanatiker in Sachen Abstammung. Viele von ihnen wären ja – Hand aufs Herz – durchaus geneigt gewesen, angesichts der sexuell prekären Lage, in der sie sich alle gewohnheitsmäßig befanden, auch einmal fünf gerade sein zu lassen und weder eine lüsterne Leyla noch eine willige Wu-Tang von der Bettkante zu stoßen, so sie sich überraschenderweise dort einfinden sollte.

Aber nicht so Götz-Herbert. Jegliche widernatürliche Vermischung war ihm ein Gräuel. Und vor allem natürlich die Verwässerung des kostbarsten Saftes, den die Natur jemals hervorgebracht hatte: des deutschen Blutes. Diese Gefahr bekämpfte Götz-Herbert mit allem, was er hatte. Und er war dabei wirklich innovativ, das musste man ihm lassen. So hatte er die erste reindeutsche Samenbank gegründet. Sie hieß: „Deutsche Eichel“. Im Moment war er selbst noch der einzige Spender. Aber andere Start-ups hatten am Anfang ja auch so ihre Probleme, trotz einer an sich überzeugenden Geschäftsidee.

Egal wo man hinsah, überall saß ein Kapazunder, der jeder auf seine Art beständig seinen Teil zur langsamen Gesundung des Volkskörpers beitrug. Wolf-Dietrich aus Rostock, der neben seinem fordernden Brotberuf als Rausschmeißer im Nobelbordell „Heidi“ in seiner Freizeit mit benachteiligten Jugendlichen arbeitete und ihnen in seinen Seminaren eine kostenlose Ausbildung zum Fußball-Hooligan ermöglichte. Oder der hurtige Heinrich, der zwar mit 38 immer noch in seinem alten Kinderzimmer bei der Mama in der niederbayerischen Einschicht wohnen mochte – aber und von dort aus sämtliche Internet-Foren schneller mit dem richtigen Content zuspammen konnte als jeder chinesische KI-Bot. Oder Kai aus Kiel, der vor Schulen selbst gedruckte Folder verteilte, in denen er seinen eigenen jahrelangen Kampf gegen seine Abhängigkeit von türkischem Honig tabulos thematisierte, um die Jugendlichen vor dieser oft unterschätzten Gefahr zu warnen.

Bis jetzt hatten sie alle nur im kleinen Rahmen zeigen können, was in ihnen steckte. Aber diese Zeit war jetzt vorbei. Martin räusperte sich, nahm sein Redemanuskript zur Hand und griff nach dem Mikrofon. Schon bald würde die Bühne ihnen gehören. Und spätestens dann würden es alle wissen.

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz