Rainer Nikowitz: Entgrenzt
Das Erfrischende an unseren beiden Regierungsparteien ist ja, wie vollkommen unbeirrbar sie ihren nun schon seit Jahrzehnten erfolgreich beschrittenen gemeinsamen Weg fortsetzen. Gänzlich unbeeindruckt von den Geschehnissen in den außerhalb der Parteizentralen liegenden, total unheimlichen und sicherlich auch irgendwie gefährlichen Gebieten, die rote wie schwarzen Strategen auf dem Weg in ihre exterritorialen Schutzräume offenbar gewohnheitsmäßig nur im Laufschritt und mit fest geschlossenen Augen durcheilen, spüren sie immer gleich instinktiv, worauf es wirklich ankommt.
Kein Problem kann hierzulande so groß sein, dass SPÖ und ÖVP nicht sofort die darin verborgene Riesenchance aufspüren würden, dem geliebten Regierungspartner selig grinsend ans Bein pinkeln zu können. Und dies natürlich im durch sämtliche Wahlergebnisse des vergangenen Jahrzehnts gesicherten Wissen, dass sich darob der Beifall der dem Geschehen erste Reihe fußfrei beiwohnenden Bevölkerung regelmäßig zu einem kaum mehr zu stoppenden Begeisterungssturm auswächst.
Wer braucht schon eine Lösung, wenn er stattdessen nervtötendes Hickhack haben kann?
Hand aufs Herz: Ist es denn Ihnen zum Beispiel in der momentanen Situation nicht auch viel wichtiger, dass sich Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Verteidigungsminister Gerald Klug, jeweils unterstützt von zahllosen eifrigen Sekundanten, ordentlich gegenseitig an die Gurgel gehen, als dass sie – möglicherweise auch noch irgendwie gemeinsam – in der Flüchtlingskrise Maßnahmen setzen, die unter Umständen sogar noch irgendeinen Sinn ergeben könnten? Wer braucht denn bitteschön eine Lösung – oder zumindest einmal einen Ansatz dazu –, wenn er stattdessen nervtötendes Hickhack und durch möglichst wenige Kompetenzspuren verunreinigte Spiegelfechterei bekommen kann?
Ja, sicher. Man muss schon fair bleiben. Das alles war natürlich nicht abzusehen. Woher hätte man denn wissen sollen, dass diese Balkanroute irgendwie auch über Österreich führen würde – wo wir doch gar nicht der Balkan sind? Also, angeblich zumindest. Und als dann der Andrang in Nickelsdorf wegen des ungarischen Grenzzauns versiegte – wer bitte hätte da ahnen können, dass infolge des bedauerlichen Fehlens eines Orbán-Äquivalents in Kroatien oder Slowenien, dem man einerseits unter Wahrung der eigenen moralischen Einwandfreiheit die Drecksarbeit überlassen und andererseits geschmackssichere Holocaust-Vergleiche um die Ohren hauen kann, als Nächstes Spielfeld überrannt wird?
Wie lange und vor allem auf welche Art jetzt schon über die „baulichen Maßnahmen“, auf die sich die Regierung prinzipiell verständigt hat, herumgefaucht wird, ist natürlich prächtig dazu geeignet, das leicht mulmige Gefühl, das Zartbesaitete angesichts von Tausenden Migranten, die die Polizei einfach beiseite drängen, befallen haben mag, rückstandsfrei zu zerstäuben. Und selbstverständlich muss der Fokus der Regierungstätigkeit einzig und allein darauf liegen, ob man diese „baulichen Maßnahmen“ nun „Zaun“ – wie Mikl-Leitner – oder „Tür mit Seitenteilen“ – wie Werner Faymann – nennt. So richtig in Schwung kam die schöne Debatte allerdings erst mit dem Eingreifen von Gerald Klug.
Klug ist ja ein Mann, dem die Massen vertrauen wie kaum einem anderen. Spätestens, seit er einmal bei der ebenso fachgerechten wie kaltblütigen Bedienung einer Gulaschkanone beobachtet wurde. Er bescheinigte Mikl-Leitner „Symbolpolitik ohne reales Substrat“ zu betreiben. Das mag ja sogar stimmen. Aber wenn jemand weiß, wie eine solche aus der Nähe ausschaut, dann sicherlich Klug. Seine markerschütternde Alternative besteht übrigens in einer „Verbreiterung des Trichters“ und einer „Aufwertung der Wartezone“ in Spielfeld. Eine Registrierung der Flüchtlinge sei allerdings nicht möglich, ergänzte der Chef von Klugs Sektion „Einsatz“, Karl Schmidseder. Schließlich tue sich dabei ein weiteres kaum zu bewältigendes Problem auf: „Wo soll man sie denn registrieren?“ Ja. Wo denn nur? Da hat sicher niemand eine Idee.
Als Nächstes watschten dann Werner Amon und Peter McDonald im Duett Klug ab, während Michael Häupl, dessen Revanchefouls natürlich immer ein wenig eleganter ausfallen, als die der jüngeren Hasen, Flüchtlingskoordinator Christian Konrad als neuen Innenminister sehen wollte. Andreas Schieder wiederum wies auf seinen dünnen Geduldsfaden hin – ein Leiden, das er mittlerweile ganz sicher exklusiv hat – und meinte, Mikl-Leitner solle lieber etwas arbeiten, statt durch deutsche Talkshows zu ziehen. Klar. Wo die doch auch ihn einladen hätten können. Wenn sie denn wüssten, wer er ist.
Natürlich musste dann wiederum Reinhold Lopatka ausrücken, um Schieder schroff zurechtzuweisen, während auf einem Nebenschauplatz SPÖ-Bundesgeschäftsführer Gerhard Schmid den Plan von Sebastian Kurz, eine Art Werte-Unterricht für Zuwanderer einzuführen, so kommentierte: „Wir freuen uns über ein Lebenszeichen des Integrationsministers.“
Gehen Sie bitte weiter. Es gibt hier nichts zu sehen. Wir haben alles unter Kontrolle. Wie? Ach, hören Sie mir auf mit den Umfragen! Wir müssen unsere Leistungen nur besser kommunizieren. Dann wird das schon.