Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Flieger sehen anders aus

Flieger sehen anders aus

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Michael Häupl konnte sich nicht erinnern, schon einmal ähnlich echauffiert gewesen zu sein. Außer vielleicht vorgestern, als man ihm bei einem Wirten, der nächstes Jahr vergeblich um die Genehmigung zur Aufstellung eines Schanigartens ansuchen wird, ein Fiakergulasch ohne Fächergurke serviert hatte. Er nestelte das Handy aus seinem – wie nahezu immer ein wenig zu weiten – Gilet und wählte die Nummer, die er öfter einmal wählte, wenn er echauffiert war.

Erwin Pröll hob schon nach dem zweiten Klingeln ab. „Was is, Oida?“, frug er charmant. „Hast scho wieder nix zum ­Hackeln?“ Michael überging den subtilen Scherz seines Freundes. „Hast glesen?“, stieß er erregt hervor.
Erwin konnte sich diese Frage nur mit dem offensichtlich nicht völlig im Gleichgewicht befindlichen Gemütszustand des Wieners erklären und antwortete launig: „Braucht der Papst a Doppelbett?“

Michael atmete schwer. „Der Flughafen“, sagte er gepresst. „Eine Ka-ta-stro-phe! Des neue Terminal – um 400 Mille teurer als geplant! Aber dafür wenigstens um sieben Jahr später fertig!“ Mit einem Mal war Erwins bis dahin blendende Laune, die sich unter anderem dadurch geäußert hatte, dass er sich bei einem vormittäglichen Interview mit dem Chefredakteur seines ORF-Landesstudios die beinharten Fragen gleich lachend selbst gestellt hatte, verflogen. Ihr Flughafen? Sein Flughafen? An dem Wien und Niederösterreich je 20 Prozent hielten? Und so etwas musste er aus der Zeitung erfahren?

„Was is denn des für ein Saustall? Wer is denn der Chef von dem Verein?“
Der Wiener nahm den Zahnstocher aus dem Mund und knickte ihn grimmig mit dem Daumen ab, nicht ohne sich eine Sekunde lang vorzustellen, einen Flughafen-Vorstand in Händen zu halten. „Angeblich ana von unsere Leit. Der frühere Direktor von der niederösterreichischen Arbeiterkammer. An sich also a voller Experte.“

Erwins Haarkranz fühlte sich mittlerweile an wie eine Dornenkrone. Womit hatte er das verdient? Da hatte er Niederösterreich zu einem Hort der Objektivität gemacht, in dem jeder Posten, ob nun Landeslehrer oder Primararzt, völlig unabhängig von einer eventuellen Parteizugehörigkeit vergeben wurde – und dann das! „Da hamma’s wieder amoi! Ihr könnts halt net wirtschaften. Des hab i jetzt davon, dass i mi aus Prinzip nirgends einmisch.“

Michael zog seinen Krawattenknopf weit nach unten, um seinen angesichts der Sachlage mittelschwer verdickten Hals noch irgendwie dahinter unterzubringen. „Gemach, gemach, mein ungestümer junger Freund“, sagte er sarkastisch. „Der Mann sagt, er is net schuld. Zuständig war angeblich a anderer – ana von euch!“ Der Niederösterreicher war so perplex, wie er es nicht mehr gewesen war, seit man ihm schmerzlich bewusst gemacht hatte, dass ihn sein Neffe nicht zum Bundespräsidenten wählen würde. „Na ja …“, murmelte er, „den hat ja wohl der Aufsichtsrat bestimmt – wie es sich ghört. Is halt a blöder Zufall.“ „Sicher.“ „Hundertprozentig.“

Eine Zeit lang schwiegen die beiden betreten. Dann hob Michael wieder an. „Jetzt sitzt da a ehemaliger niederös­terreichischer Landesrat im Vorstand. Weißt du da was ­drüber?“ Jetzt war Erwin ehrlich empört. „Aber woher denn bitte? Du kennst mi do!“

Der Wiener konnte die Verzweiflung des Freundes gut nachvollziehen. Ihm ging es schließlich ähnlich. Dass der ehemalige Büroleiter von Helmut Zilk ebenfalls im Vorstand saß, war ihm schließlich auch völlig neu gewesen. Und dass der Aufsichtsrat streng nach schwarz-rotem Proporz besetzt sein sollte, klang in seinen geschulten Ohren so unglaublich, dass er sich gar nicht weiter damit befassen wollte.

Mit einem Mal befiel Erwin eine dunkle Ahnung. Dunkler noch als jene, die ihn einst umfangen hatte, als ihm Wolfgang Schüssel bei den Karl-May-Festspielen in Gföhl in der Pause zwischen dem zweiten und dritten Akt vor dem Bratwürstelstand Benita Ferrero-Waldner vorgestellt hatte. Irgendjemand würde sicher auf die ebenso anmaßende wie unstatthafte Idee verfallen, da etwas von politischer Verantwortung daherzufaseln …
Man konnte nicht zuletzt daran erkennen, wie tief die Verbundenheit und das wortlose Verständnis der beiden Freunde war, dass Michael in ebendieser Sekunde von ebendiesem schaurigen Gedanken penetriert wurde. „Denkst du, was i denk?“ „Ja.“

„Dabei ham wir damit aber so was von überhaupt nix …“
„I weiß. Die Welt is schlecht.“
Deprimiert beendeten sie das Gespräch. Erwin spürte eine tiefe Politikverdrossenheit in sich aufziehen. Aber er würde sich nicht unterkriegen lassen – sondern in die Offensive gehen. Ein Blick auf seinen Terminkalender verriet ihm, dass er zwischen dem Zeltfest in St. Untendrunt und dem Blasmusiktreffen in Maria Umnachtung noch ein Loch hatte. „Ruf im Landesstudio an“, wies er seine Sekretärin an. „I möcht mir heut noch a Interview geben.“

Michael beschloss indessen erst einmal, auf ein Fiakergulasch zu gehen. Und so viel stand fest: Wenn da keine Fächergurke drauf war, dann würde jemand anderer heute auch noch einen ziemlich beschissenen Tag haben.

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