Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Gsi-Gong

Gsi-Gong

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Trotz der im Juli gänzlich unerwartet hereingebrochenen Hitzewelle, trotz der ungeheuerlichen Tatsache, dass gegen Karl-Heinz Grasser immer noch ermittelt wird, trotz des gemeinen tätlichen Angriffs eines entmenschten deutschen Autofahrers, der nicht wusste, wer unser Armin Assinger ist – oder vielleicht doch? –, trotz all dieser markerschütternden Ereignisse kennt die Bundeshauptstadt in den letzten Tagen nur ein Thema.
In jedem Schanigarten wird Trübsal geblasen, die todessehnsüchtigen Lieder der Heurigenbänkelsänger klingen noch weinerlicher, eine Lichterkette von besorgten Mitgliedern der Zivilgesellschaft hängt sich an die nächste. Ja, die Wiener sind im Moment sogar flächendeckend bereit, über den Skandal hinwegzusehen, dass man schon wieder einen ausländischen Taxifahrer erwischt hat, und diesen ohne Ansicht der Person bleich und tonlos zu fragen: „Ham S’ scho ghört? Na, was sagen S’?“
Wien liegt, man kann es beim besten Willen nicht übersehen, Wien liegt in Schockstarre. Denn im fernen Westen werden separatistische Tendenzen ruchbar, es ertönt ein deutlich hörbarer Gsi-Gong, der selbst den Wurschtigsten aller Wiener einfach wachrütteln muss: Die Vorarlberger wollen mehrheitlich los von Wien, ergab eine Umfrage der Schweizer „Weltwoche“. Und sie schmeißen sich, wie eine billige Vorstadtnutte an den Freier, der mit dem größeren Schein winkt, in einem entwürdigenden Akt der kollektiven Länderflucht an die Schweiz ran.
Zu sagen, dass das schmerze, käme der ungebremsten Wucht der Wirklichkeit gerade einmal so nahe, wie zu behaupten, Werner Faymann wäre nicht unbedingt ein Intellektueller.

Man weiß natürlich, dass alle Bundesländer so ihre Pläsierchen haben, ihre geheimen Wünsche hegen, die allerdings in aller Regel absolut keine Chance auf Verwirklichung haben.
Die Niederösterreicher zum Beispiel würden sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mehrheitlich wünschen, einmal in einer entwickelten Demokratie leben zu dürfen – und sei es auch nur für die Dauer des Sommerurlaubs des Landeshauptmanns.
Die Tiroler könnten sich vermutlich damit anfreunden, allesamt schon in die heilige Kaste der Agrargemeinschaftsmitglieder hineingeboren zu werden, um somit das ganze Land, wenn schon nicht von Rechts wegen, so doch wenigstens einfach so ihr Eigen nennen zu dürfen. Der durchschnittliche Wiener gibt sich da bescheidener, ihm würde schon reichen, dass lebenslang alle Ampeln, zu denen er gerade kommt, auf Grün geschaltet sind – aber leider bringen die Trottel da oben ja nicht einmal das zusammen, wiewohl nicht einzusehen ist, wo denn da bitte das Problem liegt.
Anschlussgedanken an einen anderen Staat hingegen hegten bislang höchstens die Kärntner. Aber selbst diese gewohnheitsmäßig Verwegenen mussten diesen klugen Plan leider wieder verwerfen, weil zwischen dem Land, zu dem sie ihrem Gefühl nach gehören, und all den Globutschnitschs und Dobernigs, die gerne hinmöchten, schon rein geografisch die diesbezüglich noch nicht ganz so aufgeschlossenen Steirer, Salzburger und Oberösterreicher sitzen – die also dafür sorgen würden, dass die im Moment heimatlose Südmark nach dem glücklich erfolgten Anschluss eine von feindlichem Ausland eingekreiste Enklave wäre. Also transformierte noch Jörg Haider selig den Wunsch nach dem Schlaraffenland in Richtung des „Freistaats“ Kärnten – eine Idee, die an Aktualität zweifellos noch dazugewonnen hat, seit sich die Wiener sogar erfrechten, sich mit der Hypo Alpe-Adria quasi die geballte Wirtschaftskompetenz des Landes mehr oder minder umsonst einzuverleiben.
Aber die Vorarlberger? Was wollen sie? Was haben die Schweizer, was wir nicht haben?

Drängt es sie zu den bekannt eruptiven, mit südländischem Temperament randvollen Schweizer Nachbarn, weil sie sich in den zahllosen Faschingsgilden zwischen Jungfrau und Eiger ebenso inbrünstig wie die spaßigen Kuhglockengießer dem stillen Humor hingeben möchten?
Ist den bekannt genau rechnenden Vorarlbergern das österreichische Bankgeheimnis für die wirtschaftsfördernde Unterbringung der Vermögen von Mafiabossen, Warlords und Diktatoren am Ende nicht mehr geheim genug?
Hat Restösterreich am Ende über all die Jahre gröblichst den Vorarlberger Stolz verletzt, weil es das fröhliche Bergvolk zu vehement zur Erlernung der deutschen Sprache gedrängt hat?
Haben wir den unermüdlichen Einsatz für mehr sinnstiftenden Föderalismus, den Herbert Sausgruber bei seinem letzten turnusmäßigen Vorsitz der Landeshauptleutekonferenz an den Tag gelegt hat, nicht ausreichend gewürdigt?
Was nur haltet ihr uns vor? Sagt es uns, Vorarlberger. Lasst uns darüber reden! Wenn ihr Kärntner wärt, würde es uns ja nicht so hart treffen. Aber vor euch schmeißen wir uns mit tränennassem Gesicht auf die Knie und flehen euch an: Werft diese Beziehung nicht einfach weg! Wir können uns nämlich für euch ändern. Und ihr müsst es ja zum Glück nicht.

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