Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Heinzelkampf

Heinzelkampf

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Der Bundespräsident war müde und hungrig. Am Anfang der Belagerung hatte Werner Faymann noch ein paarmal Leberkäsesemmeln und Einwegrasierer durch den Wolfgang-Schüssel-Gedächtnisstollen unter dem Ballhausplatz in die Präsidentschaftskanzlei gebracht. Aber seit sich die FPÖ daran erinnert hatte, wie ihre Regierungsmitglieder bei der schwarz-blauen Angelobung im Jahr 2000 in die Hofburg gekommen waren, und den Tunnel von oben angebohrt hatte, um einen Lautsprecher hinunterzulassen, aus dem in Endlosschleife sämtliche Aschermittwochsreden des rechtmäßigen Führers Deutsch-Österreichs drangen, war auch dieser letzte Nachschubweg abgeschnitten.

Fischer hatte die Hofburg seit nunmehr 17 Tagen nicht mehr verlassen. Wenn er in den Spiegel sah, konnte er, nachdem mit den Leberkäsesemmeln auch die Einwegrasierer versiegt waren, selbst nicht mehr genau sagen, ob es nun sein Bart von unten oder doch die Augenbrauen von oben waren, die langsam sein Gesicht zuwucherten. Seine Jazz-Platten fehlten ihm. Und er wäre auch gerne wieder einmal mit dem Hubschrauber auf den Piz Buin gewandert. Aber er hatte hier nun einmal etwas Wichtiges zu erledigen. Oder vielmehr: nicht zu erledigen. Draußen traf gerade, wie jeden Vormittag um diese Zeit, HC Strache ein, um seine Truppen zu in­spizieren. Die blutigen Märtyrer-Wundmale an seinen Handflächen, die ihm Harald Vilimsky aus Gründen der Authentizität nunmehr nicht mehr wie an den ersten Tagen des Kampfes um die Dritte Republik aufmalte, sondern jeden Morgen frisch biss, glänzten anklagend in der Sonne.

HC arbeitete sich durch die dicht geschlossenen Reihen seiner Getreuen bis ganz nach vorne, ans Tor der Hofburg, kletterte dort auf die Trümmer des Minaretts der Floridsdorfer Moschee, das bei der ersten Angriffswelle leider erfolglos als Rammbock verwendet worden war, und winkte jenen Massen zu, die nicht ruhen würden, bis dem erklärten Willen der absoluten Mehrheit der Österreicher, also von 28 Prozent der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 60 Prozent, Genüge getan wurde. Bis Heinz Fischer also ihn, den, auf den Österreich so lange gewartet hatte, als Bundeskanzler angelobte.

Und da standen sie alle, diese herrlichen Verteidiger der Demokratie, diese Stützen jener Gesellschaft, die HC in den nächsten fünf Jahren zu bauen gedachte. Vorneweg der Frontring der Initiative der Freunde beißkorbloser Kampfhunde e. V.: eine geschlossene Zahnreihe, bereit, jedwedes ausländische, linke oder im günstigsten Fall gar linke ausländische Kind in Stücke von erträglicher Größe zu zerteilen. Dahinter ein furchterregender Wall aus dreifarbigen Jogginganzügen – die Heerschar der zu den possierlichen Tierchen gehörigen Hundeführer, manche von ihnen noch auf den letzten Fetzen des im Protest zerrissenen Hundeführerscheins, dieses Knebelungspapiers für freie verantwortungsvolle Bürger, kauend.

Dann die schlagenden Burschenschafter, in voller Wichs. Es mochte ja sein, dass sie mit ihren Säbeln gegen die Mauern des alten Regimes nichts ausrichten konnten, aber wenn sie donnernd ihre Sprechchöre riefen („Hier re-giert die F-P-Ö!“), konnte man das angsterfüllte Schaudern hinter den Fenstern der Präsidentschaftskanzlei beinahe greifen.

Und hinter den tadellosen Teutonen ballte sich die normale Infanterie: Pensionisten, neben denen auf der Parkbank schon einmal eine Bosnierin gesessen war; Autofahrer, denen man empörende 21 Euro wegen eines fehlenden Kurzparkscheins abgepresst hatte; Bademeister, die man trotz eines schlimmen Sonnenbrands nicht mit 36 krankheitshalber in Frühpension gehen hatte lassen; zahnlose Glatzköpfe, die wegen ihres blendenden Aussehens fürchten mussten, in der nicht gemischten Sauna hemmungslos angeschwult zu werden. Kurz: die Armee der Entrechteten.
Und sie war zu allem bereit.

Heinz Fischer zog mit einem gequälten Seufzer die Vorhänge wieder zu. Wie lang würde er das noch durchhalten? Früher hätten die Ritter vielleicht zu der List gegriffen, eine Kuh auf die Belagerer zu werfen, um ihnen solcherart zu beweisen, dass sie noch so viele Vorräte hatten, um monatelang so weiterzumachen.

Aber er hatte keine Kuh. Und Bruno Aigner war diesfalls eher ungeeignet.
Er konnte natürlich auch nachgeben und dann bei der Angelobung den Klestil-Blick aufsetzen. Er konnte diskret um Sanktionen bitten. Finnland, Holland, Italien und Ungarn würden da sicher begeistert mitmachen.
Er konnte aber auch …

Das war die Idee. Wenn das nicht funktionierte, dann funktionierte gar nichts. Heinz Fischer stürzte zum Fenster, riss es auf und schrie der grummelnden Masse entgegen: „In der Lugner City gibt’s grad Freibier!“
Fünf Minuten später war der Ballhausplatz bis auf HC Strache und Harald Vilimsky leer. Vilimsky versuchte ungelenk, Strache in die Hand zu beißen. Strache knallte ihm eine. Und Fischer wusste: Er hatte vielleicht eine Schlacht gewonnen. Aber noch lange nicht den Krieg.

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Rainer Nikowitz & Florian Scheuba: „Land in Sicht“, 6.5., Rabenhof, Wien.

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