Satire

Im Leitkulturministerium

Jemand muss uns endlich erklären, wo’s langgeht. Warum nicht die ÖVP?

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Christian Stocker hatte es ja gleich gewusst. „Werdet’s sehen, Burschen“, hatte er damals im Wahlkampf zwischen zwei Presseaussendungen gesagt, in denen er hohe Einkommen geißelte – nicht generell, nur die von anderen – „diese Leitkultur, die wird unser Verkaufsschlager“. Und recht hatte er gehabt.

Denn nicht nur, dass sich die über diese endlich einmal begonnene Diskussion dankbare Bevölkerung bei der Wahl erkenntlich gezeigt hatte, war es der ÖVP in den folgenden Koalitionsverhandlungen auch noch gelungen, das Leitkulturministerium zu bekommen. Und es hatte natürlich eine sehr logische Wahl für den Ministerposten gegeben. Und da es auf sachlicher Ebene gerade bei diesem Thema die wahrscheinlich größte Überschneidung mit dem größeren Partner in der Regierung gab, bekam Minister Stocker dann wirklich auch die Chance, seinen Gestaltungswillen zu zeigen.

Es erwies sich als absoluter Goldgriff, dieses Schlüsselressort nicht der FPÖ überlassen zu haben. Denn die Bevölkerung hatte sich nach einer nicht nur fürsorglichen, sondern eben auch führenden Hand wirklich gesehnt. Und seit die ÖVP mit Argusaugen über das Leitkulturleben wachte, gab es wenigstens keine Zweifel mehr. Jeder wusste, woran er war. Und da es sich bei der Leitkultur ja, wie der Minister gerne sagte, eigentlich um eine Leutkultur handelte, war auch die Identifikation der Bevölkerung mit den Maßnahmen erstaunlich hoch. Endlich einmal kam ein Schwarzer wieder in den Genuss einer absoluten Mehrheit! Dementsprechend hoch war auch die Bereitschaft in der Bevölkerung, Verstöße sofort zur Anzeige zu bringen.

„Wie man bei uns von alters her sagt: Tschüss mit Ü, Tschau mit AU!“

Die Zeiten, in denen die ÖVP nur über angeblich geschlossene Balkanrouten schwadroniert hatte, waren vorbei. Jetzt wurden Nägel mit Köpfen gemacht, dafür sorgte Stocker. Jetzt bestellte kein vorwitziger Leitkulturverächter mehr einfach so ein Krügerl beim Heurigen. Oder, Gott behüte, ein Obi gespritzt – sofern er nicht unter zwölf war natürlich. Und das Ganze vielleicht auch noch, nachdem er mit einem Chrysler vorgefahren war und nicht mit einem Golf. Und auch noch gefragt hatte, ob es ein veganes Geselchtes gibt, die provokante Sau. So etwas brauchten wir nicht, so einer konnte gleich gehen. Wie man bei uns von alters her sagte: Tschüss mit Ü, Tschau mit AU! Wer zu einer Gesellschaft nichts Konstruktives beizutragen hatte, also einfach stur nicht das tat, was die Mehrheit tat, der konnte sich gerne eine andere suchen. Und die Lücke, die er hinterließ, würde ihn hervorragend ersetzen.

Es war doch wohl bitte jedem zumutbar, sich an die herrschenden Usancen der zumindest relativen Mehrheit zu halten. Also zum Beispiel, das Sackerl fürs Gackerl zu benützen. Wenn wer schaute. Oder bei einer Rechnung von 34,87 Euro dem Foodora-Fahrer 35 Euro zu geben und zu sagen: „Stimmt schon!“ Mehr Höflichkeit in einer zunehmend verrohten Gesellschaft war dem Minister ein besonderes Anliegen, ab 9 Uhr früh hatte darum jeder jeden mit „Mahlzeit“ zu begrüßen. Und da brauchte auch keiner mit einem Ramadan kommen oder was!

Vielerorts hatte es durch die neuen Regeln längst fällige Bereinigungen gegeben, auch für diese neue Übersichtlichkeit waren große Teile der Bevölkerung sehr dankbar. Dass jetzt etwa nur mehr Jeans getragen wurden, hatte die Sache für den Einzelhandel doch erheblich einfacher gemacht. Es war auch keinem ein Zacken aus der Krone gefallen, seit es nur mehr selbige zu lesen gab. Aber es gab noch viel zu tun, weite Bereiche waren auch noch völlig ungeregelt, weil valides Datenmaterial fehlte. So musste etwa die bange Frage, ob er auf der richtigen Seite steht, die sich im Moment sicherlich jeder Links- wie auch Rechtsträger im Land stellte, leider noch eine Zeit lang unbeantwortet bleiben.

Ebenso gab es in gewissen Bereichen noch Anpassungsschwierigkeiten, das musste man einräumen. Manche Themen waren emotional leider so stark überfrachtet, dass es auch zu kindischen Trotzreaktionen kam. Dass man jetzt nur mehr Rapid-Fan sein durfte, führte in Stadien von

Favoriten bis Graz zu eher unschönen akustischen Vorfällen unter unautorisierter Verwendung des Namens des Ministers. Auch die Bereitschaft, alles dafür zu tun, um wie die Mehrheit der Bevölkerung auch an einem Herz-Kreislauf-Leiden zu sterben, war in ersten Umfragen überschaubar. Auch die Frage „Leberknödel oder Frittaten“ schien

immer noch nicht letztgültig geklärt, es gab Widerstandsnester in Krakau-Ebene, Jedlesee und rund um Groß-Petersdorf. Und: Leider häuften sich absolut glaubhafte Berichte über landesweite, teilweise schockierend gravierende Verstöße gegen den ministeriellen Missionarsstellungserlass.

Aber der Weg hatte ja erst begonnen. Und Christian Stocker war sich sicher: Auf ihm lagen noch ganz viele Erfolge im Rinnsal, die nur darauf warteten, von der ÖVP eingesammelt zu werden.

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz