Rainer Nikowitz: In einem Land vor unserer Zeit
Achtung, Binse: Mit jedem weiteren Tag, an dem SPÖ und ÖVP ihre mit dem mittelschwer irreführenden Etikett „Regieren“ versehene Wirtshauskeilerei fortführen, wird die FPÖ noch stärker. Das ist eigentlich jedem Österreicher völlig klar – sofern er nicht hauptberuflich und -sächlich in den offenbar von technisch unfassbar hochentwickelten unsichtbaren Schutzschilden umkränzten roten und schwarzen Parteizentralen weilt. Während allerdings die vergleichbaren Einrichtungen, die man vom Raumschiff Enterprise kennt, vor allem das ehrlich gesagt doch ziemlich läppische Eindringen der lächerlichen Romulaner verhindern sollen, müssen es jene unserer vormaligen Großparteien mit einem ungleich gefährlicheren Gegner aufnehmen: der Realität. Mit der darf man sich ja wirklich nicht spielen. Ließe man die so mir nichts, dir nichts bei der Tür herein, ist nicht einmal mit Sicherheit auszuschließen, dass sich bei den urplötzlich mit ihr Konfrontierten die Halluzination breitmacht, wir schrieben 2016 – und nicht, wie sowohl bei SPÖ als auch ÖVP an sich natürlich jeder verinnerlicht hat, 1986. Einstein fand ja bekanntlich einst heraus, dass Zeit relativ ist. Bei unseren Regierungsparteien ist man diesbezüglich schon einen großen wissenschaftlichen Schritt weiter: Von der allgemeinen Relativitätstheorie zur speziellen Stehengebliebenheitsgewissheit.
In diesen Zeitkapseln, diesen vor Bio-Invasoren geschützten Öko-Systemen, die es trotz der himmelschreiend kargen Parteienförderung zum Glück geschafft haben, völlig autark zu bleiben, ist das Leben noch so, wie es sein sollte. Man hat gemeinsam 85 Prozent der Wählerstimmen und nicht, wie die aktuellen Umfragen insinuieren, um die 45. Man kann, wie zuletzt beim Rechnungshof oder am Direktorenbasar im ORF, der Öffentlichkeit weitgehend folgenlos ein unwürdiges Postenschacher-Schauspiel nach dem anderen bieten, weil was bitte sollen denn die Hascherln da draußen schon wählen, wenn sie einen sicheren Job im Staatsdienst und eine günstige Wohnung wollen? Man kann einander jeden Tag ausrichten, wie grenzenlos deppert und unmöglich man den anderen findet und in aller Selbstverständlichkeit davon ausgehen, dass dieses Politiksubstitut beim Publikum tatsächlich auch noch Gefühle auslöst, die über der Brechreizgrenze liegen.
Man kann fröhlich so tun, als wäre man noch wer.
Na wusch. Die einen links, die anderen rechts? Wenn wir das bloß früher gewusst hätten!
Vergangene Woche äußerte die ÖVP nach einem Gastkommentar von Christian Kern in der „FAZ“, in dem er ein Abgehen von der europäischen Sparpolitik forderte, den empörten Verdacht, beim Bundeskanzler handle es sich möglicherweise um einen Linken. Das ist sehr scharfsinnig, denn sonst sind die Indizien, die darauf hindeuten – zuvorderst ist hier wohl Christian Kerns bedauerliche und bisher auch nicht dementierte Mitgliedschaft bei der SPÖ zu nennen –, sicherlich den meisten entgangen. Auch die Replik des solcherart Ehrabgeschnittenen wird selbst in an sich politikinteressierten Kreisen wie eine Bombe eingeschlagen haben, deckte Kern doch auf, dass die ÖVP eine „rechte Ideologie“ verfolge.
Na wusch. Die einen links, die anderen rechts? Wenn wir das bloß früher gewusst hätten! Heißt das jetzt am Ende, Wolfgang Schüssel war gar nicht der Wiedergänger Che Guevaras mit leichten befreiungstheologischen Einsprengseln, für den wir ihn immer gehalten haben? Müssen wir wirklich die österreichische Zeitgeschichte umschreiben und sie von der bisher ja wohl flächendeckend gültigen Interpretation befreien, dass sich Bruno Kreiskys Politik vor allem an den Ideen seines großen Vorbilds Prälat Ignaz Seipel ausrichtete? It’s the end of the world as we know it.
Ebenfalls vergangene Woche, nach der Direktorenbestellung im ORF, dem ersten und auch gleich mächtig schiefgegangenen Großeinsatz des neuen schwarzen Generalsekretärs Werner Amon – wir lernen: auch der Begriff „neu“ kann ausgesprochen relativ sein –, raunte ein VP-Stiftungsrat: „Das bedeutet Krieg!“ Schließlich wurden die reichlich unverschämten schwarzen Postenforderungen dieses eine Mal nicht erfüllt. Und i maan, wo samma denn, was Werner? Dieses Land gehört schließlich immer noch Werners wie dir. Medienminister Thomas Drozda wiederum fügte sich, obwohl erst kurz dabei, sofort schön in den Familiennachmittag ein und beschied ganz und gar nicht gfeanzt, der Bestellungsvorgang sei eine „Sternstunde“ gewesen.
Danach sagte Sozialminister Stöger in anderer Sache irgendwas, das gewohnheitsmäßig sowieso niemanden interessierte. Außer Reinhold Lopatka natürlich, der in einem dieser beliebten Fragebögen auf die Frage „Was können Sie am besten?“ zweifellos antworten würde: „Konstruktiv sein“. Der musste also umgehend ausrücken, um Stöger eine reinzusemmeln, fragen Sie mich jetzt nicht, was er genau gesagt hat, es ist mir nämlich wurscht. Für das Studieren von Lopatka-Wortspenden hab ich echt nicht mehr genügend Lebenszeit übrig.
Alles in allem war das also wieder eine hinreißende Koalitionswoche. Und ich darf an dieser Stelle einen großen Österreicher zitieren, mit dem einzigen Satz, für den er in Erinnerung geblieben ist: „Es reicht!“
Lasset uns wählen. Zeitnah. Ich könnte zum Beispiel morgen ganz gut.