Rainer Nikowitz: Land unter!

Rainer Nikowitz: Land unter!

Drucken

Schriftgröße

Früher waren ihre Zusammenkünfte immer der Höhepunkt des Jahres gewesen. Was sie da jedes Mal für einen Heidenspaß gehabt hatten! Wenn sie einander Witze erzählt hatten, die brüllend komisch waren, obwohl – oder wahrscheinlicher: weil – die Pointe am Ende immer gelautet hatte: „Finanzausgleich!“ Oder wenn sie selbst geschriebene Gedichte zum Vortrag gebracht hatten, in denen sich „Föderalismus“ auf „Apfelmus“ oder „Jetzt ist aber Schluss!“ reimte. Und dann die vielen schönen Momente der Vertrautheit und Intimität, in denen sie nie müde geworden waren, einander immer und immer wieder ihre eminente Bedeutung zu versichern. Alles vorbei. Diesmal war alles anders.

Diesmal war die Stimmung bei der Konferenz der Landeshauptleute unter aller Sau. Nicht einmal beim traditionellen Absingen ihrer gemeinsamen Hymne – sonst ein absolut verlässlicher Partyknaller – hellten sich die betrübten Gesichter reihum auf. Noch nie hatte sich das neunstimmige „Ich mach mir die Welt widdewiddewie sie mir gefällt!“ dermaßen saftlos und deprimiert angehört. Aber man war ja auch in dieser ansonsten so beschwingten und unbeschwerten Runde niemals zuvor mit dem Undenkbaren konfrontiert gewesen. Bis heute.

Gleich zu Beginn entschuldigte Erwin Pröll seinen Finanzlandesrat Wolfgang Sobotka. Dieser hätte natürlich sehr gerne das erlauchte Gremium mit seiner an sich immer und überall unverzichtbaren Anwesenheit noch ein wenig mehr geadelt, führte Erwin gefasst aus. Allerdings habe sein Ego leider nicht durch den Eingang gepasst. Obwohl ihr heutiges Treffen, solche Probleme schon irgendwie antizipierend, in einer ehemaligen Schiffswerft stattfand. (Gerüchteweise existierte ja irgendwo im Bezirk Waidhofen an der Ybbs eine Person, die erklären konnte, auf welchen Leistungen und Verdiensten Sobotkas erkleckliches Selbstbewusstsein denn nun genau beruhte – außer auf der unbestreitbaren Tatsache seiner Geburt. Aber leider hatte niemand diese sagenumwobene Gestalt je kennengelernt.)

Natürlich habe der wichtigste und vor allem auch sympathischste Landesrat der Welt daraufhin sofort in sehr scharfem Ton eine Verbreiterung des Portals eingefordert – aber ein Anruf im Finanzministerium habe zu der skandalösen Auskunft geführt, dass der Bund die Kosten dafür nicht übernehmen werde. Der nächste nicht hinzunehmende Tabubruch in einer Zeit, in der die Landeshauptleute ohnehin schon damit zu kämpfen hatten, dass man ihnen jenen Respekt verweigerte, der ihnen zustand. Immerhin konnte jeder von ihnen auf eine große Gefolgschaft verweisen. Ja, bei manchen ging die Zahl der Wählerstimmen, die sie auf sich vereinen konnten, sogar in die Zehntausende! Und bislang hatte das ja auch einigermaßen zufriedenstellend funktioniert – bis zu den Ungeheuerlichkeiten, die sich der dahergelaufene neue Finanzminister auf einmal herausnahm.

„Wir sollen für die Hypo zahlen?“, stieß der Pühringer Joe zwischen seinen zusammengepressten Zähnen hervor. „Wir? Nur, weil wir da ein paar Haftungen übernommen haben? Weiß der Knilch denn nicht, wer wir sind?“

„Offenbar nicht“, erwiderte Hans Niessl grimmig. „Aber dann solltet’s ihr es ihm dringend verklickern. Schließlich is er einer von euch.“

„Von uns, von uns!“, quengelte der Platter Günther. „Und was is mit eurem Kanzler? ‚Ich nehme das zur Kenntnis‘, hat er gsagt. I mein: Geht’s no? Was is’n des für a Weichei? Erwin? Sag halt auch amol was, Erwin!“

Erwin Pröll hob den Kopf. Düsternis umwölkte seine Denkerstirn. Und dann sagte er ungewohnt leise: „Euch is hoffentlich klar, was das bedeutet.“„Natürlich. Wir sollen zahlen“, wiederholte der Joe.

Erwin schüttelte den Kopf. Seine Miene wurde noch bekümmerter.

„Es ist noch viel ärger. Die lassen mich in die ‚Pressestunde‘ gehen – und ich weiß von nix. Mich! Die Büchse der Pandora ist geöffnet, Freunde. Und wenn wir jetzt nicht aufstehen wie ein Mann, dann müssen wir in Zukunft auf das Schlimmste gefasst sein. Dann kann es durchaus sein, dass in Zukunft nicht mehr wir anschaffen – und der Bund zahlt.“

Alle starrten betreten zu Boden. Was war bloß auf einmal aus der Welt geworden? Aber Erwin war mit der Skizzierung seiner grauenvollen Dystopie ja noch nicht einmal fertig.

„Und irgendwann kommt es dann vielleicht sogar so weit, dass wir, wenn wir vielleicht durch ein kleines Malheurtscherl irgendwo ein paar hundert Mille versenkt haben …“ Er stockte und schluckte. Das hier brachte selbst einen Hartgesottenen wie ihn an seine Grenzen. „… dass wir dafür zur Verantwortung gezogen werden!“

Die Kaffeetasse, die Günther Platter eben zu seinen geschürzten Lippen, die die Sennerinnen im Pitztal immer ganz wurlert machten, führen hatte wollen, zerschellte mit lautem Klirren auf dem Boden. Niessl stöhnte gequält auf, Pühringer biss sich die Lippe blutig, Kaiser fiel in Ohnmacht und Haslauer begann, mit einem leicht entrückten Ausdruck um die Augen, zu singen: „Ich mach mir die Welt, widdewiddewie …“ Niemand sang mit.

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz