Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Laufpass

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Es gab auf der Welt ja viele Dinge, die einfach nicht einzusehen waren.
Man musste da etwa nur an die betrübliche Tatsache denken, dass man bei einer nicht zufriedenstellend verlaufenden Niederwildjagd zwischendurch nicht wenigstens einen Treiber zur Strecke bringen durfte, um ein bisschen Spaß im Leben zu haben.

Oder den Schmerz, den jeder ehrliche Geschäftsmann kannte, nämlich einen Kunden, der eine bestimmte Ware wirklich ganz dringend brauchte, aufgrund unsinniger, von völlig weltfremden und zutiefst unchristlichen Politikern erfundener Gesetze nicht mit jener beliefern zu dürfen. Also zum Beispiel Baschar al-Assad mit 10.000 Streckbänken für den Dialog mit der Opposition oder Mahmoud Ahmadinejad mit einer Atombombe.

Nicht zuletzt war ja auch die Abschaffung des Adels ein permanenter Quell der Unerfreulichkeit, den man den roten Zeloten auch fast hundert Jahre danach weder vergessen noch verzeihen durfte. Wiewohl die ja zugegeben in mancherlei Hinsicht ohnehin nur auf dem Papier stattgefunden hatte – und das nicht nur, weil ihn das brave Gesinde auf den Ländereien im Burgenländischen in respektvoller Dankbarkeit für das Privileg, überhaupt das Wort an ihn richten zu dürfen, immer noch „Herr Graf“ nannte.

Aber das jetzt, das war ja nun überhaupt das Letzte. Jetzt stand Graf Alfons Mensdorff-Pouilly mit seiner Mitzi vor der Grenzkontrolle in einer Schlange, dieselbe Luft atmend wie ein Haufen seltsam gekleideter Pauschaltouristen, von denen, nur um jetzt zu verdeutlichen, wie schlimm die Lage war, nicht ein Einziger einen stilsicheren Schnurrbart trug – und wartete. Bis er dran war. So etwas Ungeheuerliches war ihm noch nie passiert. Wenn man jetzt von seiner zweimaligen Untersuchungshaft einmal absah.

Seit sie seiner Mitzi und ihm die Diplomatenpässe brutal aus dem Kroko-Futteral gerissen hatten, war das Reisen einfach nicht mehr wie früher. Nicht einmal mehr die unschuldigsten Freuden wurden einem gegönnt. Dass man an allen anderen vorbeigehen konnte und durchgewunken wurde. Und die anderen nicht. Einfach so. Weil man man war. Und die halt leider nur die.

Dass diese letzte in einer langen Reihe von Demütigungen im Leben des Alfons Mensdorff-Pouilly nicht ihm und seiner Mitzi allein widerfuhr, konnte ihn nur bedingt trösten. Ganz vorne in der Schlange verhandelte gerade der große alte Mann der österreichischen Sozialdemokratie mit einem renitenten Zöllner, der unbedingt einen Blick in seinen Koffer werfen wollte. „Sie wissen wohl nicht, wer ich bin?“, herrschte der Noricum-Charly den uniformierten Uninformierten sozial gerecht an. „Na. Waaß i net“, antwortete das Amtskapperl frech. Fonsi seufzte vernehmbar. Auch wenn es der Klassenfeind war – irgendwie saß man ja doch im selben Boot.

„Hören Sie, dass i kan Diplomatenpass mehr hab, is nur die Schuld von dem damischen Spindelegger. I war schließlich amoi Minister!“, versuchte Karl Blecha dem Kerl Manieren beizubringen. „Bis ich dann zurücktreten … wegen …, na, ist ja auch egal jetzt. Und heute bin ich der Vorsitzende des Seniorenrats. Des Seniorenrats, bitte! Was ich schon alles für dieses Land geleistet hab, geht auf keine Lucona! Ich kassier im Monat so viel Pension, wie Sie in einem halben Jahr verdienen! Und des, seit i 56 worden bin! Glauben Sie, i krieg des für nix?“

„Ganz genau“, sagte der Zöllner. „Und jetzt den Koffer aufmachen. Und zwar hurtig.“

Von weiter hinten in der Schlange war das mittlerweile bei solchen Gelegenheiten schon charakteristische Heulen von Monika Forstinger zu vernehmen. Die ehemalige Infrastrukturgeheimwaffe, die einst nur 15 Monate als Ministerin gebraucht hatte, um einen bis heute bleibenden Eindruck zu hinterlassen, war wieder einmal völlig außer sich. „Frauen!“, klagte sie lauthals weh. „Um mich herum überall nicht privilegierte Frauen! Und ein paar von denen haben sogar Miniröcke an!“

„Dos tat mi weniger stören“, raunte ihr der nächste ungerechtfertigterweise von seinem Diplomatenpass Getrennte rau zu. Auch Eduard Mainoni, ein Staatssekretär a. D., wie ihn nun wirklich nicht jedes Land hatte, sah sich ungeschminkt mit der grässlichen Tatsache konfrontiert, dass hier keine Sau wusste, wer er war – obwohl er sogar selbst zugeben musste, dass das in seiner Amtszeit eigentlich auch schon so gewesen war. „Aber i find koan, der meine 30 Stangen Zigaretten für mi einstecken will. Do hat ma si monatelang für dos Land aufgeopfert – und dos is dann der Dank.“

Aber eines war Graf Fonsi klar: So schwer diese Situation für ihn und natürlich auch für die Mitzi war – man musste, auch in der Stunde der größten Erniedrigung, immer die Contenance bewahren. Und alles daransetzen, nicht so zu enden wie der arme Hubert Gorbach. Der ging nämlich eben an ihnen vorbei.

„Tatü, tata!“, sagte er mit entrücktem Lächeln. Und auf ­seiner hübschen Pelzhaube aus Weißrussland trug er ein Blaulicht.

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