Rainer Nikowitz: Lie to me
Mitunter ereignen sich auch in einem doch schon recht langen Kolumnistenleben noch sehr überraschende Dinge – ja sogar an sich Undenkbares. Wenn man sich nämlich auf einmal genötigt sieht, Herbert Kickl recht zu geben, könnte man durchaus vermeinen, es trete einen dessen Polizeipferd. Der nunmehr wieder oppositionelle Ex-Rosstäuscher echauffierte sich vergangene Woche über die dürftigen öffentlichen Reaktionen auf einen vom „Standard“ bekannt gemachten Medien-Ukas im türkisen Verteidigungsministerium.
Zusammengefasst schrieb Kickl sinngemäß: „Wehe, wenn ich das gemacht hätte!“ Nun, bekanntlich hat er. Und sein berüchtigter Feindmedien-Erlass ging noch einen Schritt weiter ans Eingemachte der Pressefreiheit als jenes Papier, das Klaudia Tanners Pressemann Herbert Kullnig kürzlich an maßgebliche Stellen im Verteidigungsministerium versandte. Aber die ungute Grundidee ist dieselbe, da hat Kickl recht. Journalisten braucht man in der ÖVP nämlich eigentlich auch nur, wenn sie die Worte „Balkanroute“ und „geschlossen“ unfallfrei aneinanderfügen können oder wenn sie „hochrangige“ Kollegen sind, die dem Kanzler der Herzen diskret flüstern, dass ihre Redaktionen selbstverständlich mit Akten aus der brunellorot durchseuchten Korruptionsstaatsanwaltschaft versorgt wurden. Und wenn nicht: Dort ist die Tür!
„Wir müssen bei der Auswahl der Reporter sehr sorgsam sein!“, warnt Tanners Pressesprecher die ministeriellen Untertanen. „Manchmal stellen Journalisten Fragen, deren Beantwortung nicht in den eigenen Zuständigkeitsbereich fallen. Medien oder dem Bundesheer feindlich gesinnte Organisationen nutzen das dann meist aus.“ (Hier fehlt zwischen dem „oder“ und dem „dem“ möglicherweise ein „andere“. Oder vielleicht auch nicht. So viele mediale Widerstandsnester, in denen nicht permanent schreibend zum Gnadenbild des Hl. Sebastian gewallfahrtet wird, gibt es ja nun auch nicht mehr.) Der Grund für diesen Journalismus-Numerus-Clausus war ein ORF-Bericht über einen Besuch Klaudia Tanners in der Einsatzzentrale für Luftraumüberwachung in St. Johann im Pongau. Dabei sei es „zu Widersprüchen zwischen den Aussagen der Frau Bundesminister und den Aussagen eines Offiziers gekommen“. Huch, das geht ja gar nicht! Der Offizier war nämlich gefragt worden, woran es dem chronisch finanzmaroden Bundesheer mangle – und hatte eine ehrliche Antwort gegeben. Eine ehrliche! Was denkt sich der Mann eigentlich? Noch dazu, wenn sie sich von der an derselben Stelle geäußerten Darstellung der Frau Bundesminister deutlich unterscheidet. Für Tanner war nämlich quasi eh alles happy Pepi. „Das“, so das Fazit ihres besorgten Öffentlichkeitsarbeiters, „schadet unserer Organisation und unseren Zielen.“ Ob mit der Organisation tatsächlich das Bundesheer gemeint war oder die einzige übergeordnete, die wirklich zählt – also der türkise Jubelperser-Chor –, wurde nicht explizit ausgeführt. Menschen, die zumindest über einen Finger verfügen, können es sich aber unter Umständen ausrechnen.
Simpel ist Message Control nicht, wie man an der Verteidigungsdoktrin sieht.
Ja, in der Politik wurde natürlich immer schon gelogen, nicht erst seit der große Moralphilosoph und nun wirklich ausgesprochen brave Katholik Andreas Khol vor 20 Jahren mit einem zähnefletschenden Peter Westenthaler an seiner Seite dekretierte: „Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit.“ Auch rote Kanzler hatten Spin-Doktoren, die es da nicht so genau nahmen. Aber mit welcher Gründlichkeit gerade eine Partei das achte Gebot entsorgt hat, die erst vor Kurzem bei der Debatte um Kruzifixe in öffentlichen Gebäuden in scheinstheilige Schnappatmung verfallen ist, verwundert dann doch. Und selbstverständlich werden genau dieselben wehrhaften Christen jetzt die Ersten sein, die empört aufjaulen, dass doch bitte Message Control etwas anderes sei als eine simple Lüge. Eh. Simpel ist Message Control nicht, wie man an der neuen Verteidigungsdoktrin sieht. Weil es ja nicht ausreicht, dass man selber nicht die Wahrheit sagt – es müssen auch alle anderen, die sie kennen, mehr oder minder sanft dazu angehalten werden. Türkis hat dieses System dennoch ziemlich perfektioniert, wie man bei jedem Auftritt der Kurz-Jünger und -Jüngerinnen hören kann. Alle singen, oft sogar völlig wortgetreu, dieselben Gstanzln, deren Texte es in puncto Echtheit und Aufrichtigkeit durchaus mit der volkstümlichen Hitparade aufnehmen können. Ob es da am Ende beim Publikum irgendwelche Überschneidungen gibt? Tarnen und Täuschen ist längst zum Hauptfundament türkiser Politik geworden, eigentlich ersetzt die Form hier mittlerweile den Inhalt völlig. Denn der einzige, der transportiert werden soll, ist ohnehin bloß: Wir sind ursuper!
„Für einen Politiker ist es gefährlich, die Wahrheit zu sagen. Die Leute könnten sich daran gewöhnen, sie hören zu wollen“, befand einst George Bernard Shaw. Aber was wusste denn der schon? Hat ja nicht einmal „Das Bildnis des Dorian Gray“ geschrieben.