Nach der Wahl ist vor der Wahl
Es ist zum Verzweifeln. Da sagen wir, die konstruktiven Kräfte, jetzt schon seit Jahren alles, was in unserer Macht steht, um den Rechtsruck zu verhindern und die Demokratie zu schützen. Wirklich alles!
Wir predigen in jeder Sonntagsrede, in jeder Twitterbotschaft, in jedem Interview voller Feuer und in Dauerschleife zu den Bekehrten, wir machen beim Haltungsturnen vor Gleichgesinnten stets eine ausgezeichnete Figur, wir warnen und warnen, was das Zeug und die Nerven der Zuhörerschaft halten, wir grenzen uns in feierlichen Beschwörungsritualen überzeugend von allem Erzbösen ab, ob nun von jenem aus dem Burgenland oder dem, das jetzt an seiner Stelle die Wahlen gewinnen wird – was ja leider nicht einmal für die Aufgewecktesten unter uns vorhersehbar war.
Und, um wieder einmal eindrucksvoll zu beweisen, wie schnell und entschlossen wir Probleme bei der Wurzel packen, fügen wir den Rechten gerade auch noch den wohl schwersten Schlag zu, den sie in den letzten Jahren verdauen mussten – und von dem sie sich vermutlich sehr lange nicht erholen werden: Wir canceln in einem gemeinsamen antifaschistischen Kraftakt das neue Horst-Wessel-Lied! Weil: Böse Menschen haben ja keine Lieder. In! Your! Face! Ihr Sylt-Nazis! Und in Mödling und Villach und – nach bisher noch unbestätigten Teufelsreporter-Rechercheergebnissen, die sicherlich wiederum Schockwellen durch das ganze Land jagen werden – auch in St. Pankraz am Blasenstein.
Also: Was bitte sollen wir noch sagen? Weil, wir kommen vor lauter Sachen, die wir dauernd sagen müssen, ja gar nicht mehr zum Tun! Würden wir unseren heldenhaften rhetorischen Abwehrkampf noch ein Eckerl pathetischer anlegen, dann wären wir endgültig wirklich große Oper. Wobei, irgendwie sind wir das eh schon. Ein Nabucco-Chor der Verzweifelten, gefangen in einem Netz aus Ignoranz und Unverständnis. Der anderen.
Gut, es gibt da wohl ein gewisses, natürlich nur künstlich hochgekochtes Thema, das den Wähler ganz offensichtlich sehr bewegt. Aber halt leider in die völlig falsche Richtung – also nicht in unsere. Politisch deutlich schlichtere Gemüter als wir werfen uns ja auch in ihrer fast schon rührenden Ahnungslosigkeit vor, dass da seit mittlerweile sehr geraumer Zeit ein Elefant im Raum steht, der sich langsam zum Mammut auswächst – an dem wir aber jetzt schon ebenso lang gekonnt vorbeisehen. Und uns zoologisch viel lieber mit unseren goldenen Kälbern befassen, um die herum wir immer und immer wieder unsere kühnen Ausdruckstänze zur Aufführung bringen, während wir beglückt „Dancing With Myself“ summen. Die Unbedarften meinen, wenn wir uns von unserem Fetisch lösten und den Rechten dieses Thema wegnähmen, bei dem auch die Mitte angeblich immer öfter unkeusch denkt, dann bliebe denen nur noch Corona und Putin. Also nicht so furchtbar viel.
Aber das ist natürlich, wie immer bei allen anderen außer uns, viel zu kurz gedacht. Und auch ich möchte dieses Thema hier nicht einmal benennen, denn das würde ja wiederum nur rechte Narrative bedienen. Und Probleme entstehen ja bekanntlich immer nur durch Narrative – und nie durch … Probleme. Und gerade diese Narrativprobleme sind nun wirklich lösbar. Nehmen wir zum Beispiel diese unsägliche Diskussion um Wiener „Brennpunktschulen“ oder gar „Problemviertel“. Entschuldigung schon – aber das ist Quatsch. Ich weiß wie gewohnt auch hier, wovon ich rede, ich wohne ja auch in Wien. Und zwar nicht im Cottageviertel bei den Bonzen. Nein, in Gürtelnähe. Okay, der Ring ist vielleicht noch ein bisschen näher – aber nicht viel. Und ich darf Ihnen verraten: In unserem kunterbunten Grätzel ist diese angeblich so schlecht funktionierende Integration überhaupt kein Problem! Man muss nur offen auf die Leute zugehen. In meinem Stammcafé zum Beispiel kriegen Unterprivilegierte das klassische Frühstücksmenü, also den veganen Latte und den Avocado-Toast (früher war es Shakshuka; aber das haben wir jetzt natürlich abgewählt, wegen Gaza) um zehn Prozent billiger. Mit Kopftuch sogar um 15! Was glauben Sie, was die für eine Freude haben! Alle zwei bis jetzt.
Oder in der katholischen Privatschule, in die wir Leonie und Yannick leider geben mussten, weil die öffentlichen Schulen ja durch diesen schrecklichen Neoliberalismus dermaßen kaputtgespart worden sind, dass sie keine Montessori-Elemente mehr anbieten können: Da haben wir ein Crowdfunding für das Schulgeld für einen Migranten-Quotenplatz gemacht. Und was soll ich Ihnen sagen: Binnen kürzester Zeit waren die ersten zwei Monate ausfinanziert! Zu einem Drittel. Es geht also – wenn man nur will.
Und eines werden wir jedenfalls auch vor dem nächsten, sicherlich wieder erfolgreichen Wahlgang niemanden vergessen lassen. Es geht schlussendlich immer um – Moral. Und wie bei vielen anderen Dingen gilt für uns auch hier: Doppelt hält besser!