Rainer Nikowitz: Nescio nescio
Den Homo sapiens gibt es seit rund 300.000 Jahren. Das mag zwar in der Gesamtgeschichte unseres Planeten gerade einmal ein langsamerer Augenaufschlag sein. Betrachtet man es hingegen vom Gesichtspunkt der durchschnittlichen Aufmerksamkeitsspanne, die ein heutiger TikTok-User gerade noch so irgendwie zusammenkratzen kann, ist das schon shice-lange, Bruder. Höchste Zeit für den nächsten Entwicklungsschritt! Das alte Modell hat ausgedient und braucht ein Tuning, um für unsere unübersichtlichen Zeiten marktfit gehalten zu werden. Also müssen wir über das "sapiens" reden, von dem erstens ohnehin nur mehr intellektuelle Snobs wissen, was es heißt, und das zweitens in vielerlei Hinsicht doch sehr hinderlich geworden ist.
Um beim Beispiel TikTok zu bleiben: Auf dieser App, die mit einiger Sicherheit die grundsympathische chinesische Führung mit einer Flut von Daten über die zukünftigen Verteidiger der Demokratie westlichen Zuschnitts beliefert, gibt es gerade eine neue der dort sehr beliebten "Challenges". Man befestigt Körperteile mit Superkleber aneinander oder pickt sie woanders an, zum Beispiel seine Zunge an der Stange eines Verkehrsschildes, wie jüngst von einer jungen Dame in Mannheim demonstriert. Und während man auf die Feuerwehr wartet, die einen in mühsamer Kleinarbeit wieder losschneidet, kann man schon schauen, wie viele Likes einem das einbringt. Ist ja auch verständlich: Mit dem Rezitieren von Shakespeare-Sonetten bringt man es eher nicht zum Influencer. Da muss schon zeitgemäßerer Stoff her. (Apropos Shakespeare: Wir müssen dringend über "Othello" reden, cancel-culture-mäßig. Es kann doch bitte nicht angehen, dass der olle William, diese traurige Gestalt von einem alten weißen Mann, noch immer nicht des Rassismus überführt ist und auf dem im Gegensatz zu früher nunmehr endlich voll fortschrittlichen Entartete-Kunst-Index steht. Aber das nur nebenbei.)
Eine Influencerin-früher hieß so was ja eher Sektenführerin-mit 1,2 Millionen Followern auf Instagram hat es mit einem Foto, auf dem man sieht, wie sie in einem "Gumpen",einem kleinen, natürlichen Felspool am Königsbach-Wasserfall im Berchtesgadener Land, badet, geschafft, einen Hype zu produzieren. Ganz viele Individualisten kämpfen sich seither in Flip-Flops einen steilen und rutschigen Gebirgspfad hoch und stellen sich dann individuell in einer langen Schlange an, in der jeder darauf wartet, auch dieses mittlerweile völlig einzigartige Foto schießen und anschließend mit der Welt teilen zu können.
Darwin-Award konnte leider noch keiner vergeben werden (wie gut sich der erst auf Social Media machen würde!),weil wie durch ein Wunder noch niemand runtergefallen ist. Und jetzt wurde der Wasserfall überhaupt gesperrt. Man kann dies nur als Akt von Behördenwillkür werten, der dazu dient, die individuelle Freiheit mutiger Einzelgänger zu unterdrücken. Das wird Folgen haben-bei der nächsten Wahl.
Wie natürlich auch die Unterdrückung der persönlichen Freiheit durch die diversen Corona-Maßnahmen. So stimmten jüngst bei einer Umfrage 14 Prozent der Befragten folgender Aussage zu: "Geheimgesellschaften nutzen die Corona-Krise und wollen eine autoritäre Weltordnung errichten."Und jetzt weiß man ja, dass diese Amerikaner verrückt sind und mittlerweile jeden Blödsinn glauben, den ihnen irgendwer im Netz einredet-Stichwort Verschwörungstheorien. Eine der interessantesten, die über den großen Teich geweht kommt, lautet, dass Bill Gates angeblich plant, allen Menschen weltweit mittels einer Impfung Mikrochips zu implantieren, um sie anschließend kontrollieren zu können. Wie gut, dass das laut obiger neuer Umfrage, die nämlich bei uns stattfand und nicht im größten Irrenhaus der Welt, bloß jeder neunte erwachsene und somit wahlberechtigte Österreicher glaubt! Das wären hochgerechnet in absoluten Zahlen eh nur rund 700.000 Menschen-also kein Grund zu Sorge. So jemand ist garantiert noch nie neben Ihnen in der U-Bahn gesessen. Und bis zum nächsten Anhänger von QAnon-jener Theorie, die unter anderem besagt, dass linke Eliten Kleinkinder stehlen und töten, um aus ihnen ein Verjüngungselixier zu gewinnen-ist es ja sicher auch total weit. Etwas enttäuschend ist allerdings, dass in derselben Umfrage nur mickrige 3,4 Prozent meinen, Alkohol und Nikotin würden vor dem Coronavirus schützen, obwohl es sich hierbei doch eindeutig um österreichische Allheilmittel handelt-denen man allerdings auch aus anderen Gründen verstärkt zusprechen könnte: Wenn man nämlich den Rest dieser Umfrage liest und sich darob durchaus denken könnte: A scho wurscht. Denn es ist heutzutage offenbar nicht mehr die Frechheit, die siegt. Oder zumindest nicht nur. Sondern die Blödheit. Und das lässt einen dann doch irgendwie gleich viel ruhiger schlafen.