Rainer Nikowitz: One-Trick Pony
Rund um Karin Kneissls bescheidene Datscha war die Welt noch in Ordnung. Hier, in den weiten Birkenwäldern vor St. Petersburg, tollten die Buben den ganzen Sommer durch das hohe Gras und krähten vor Vergnügen, während sie die Befreiung von Butscha nachspielten. Die Mädchen waren züchtig, flochten einander lange Zöpfe und übten wunderschöne Klagelieder für die gefallenen Helden des großen vaterländischen Krieges. Die Äpfel waren rot, die Gänse fett, die Mägde billig. Die letzte Dragqueen, die hier in der Gegend versucht hatte, auf Befehl der CIA in einen Kindergarten einzudringen, um dort rotbackige Nachwuchssoldaten zu satanisieren, war schon vor Jahren in eine betreute Wohneinheit in Nowosibirsk umgesiedelt worden. Und die Drohnen, mit denen die ukrainischen Nazis neuerdings sogar hier brave, unschuldige Bauern bedrohten, wurden stets zuverlässig abgefangen. Kurz: Hier hatte man noch Luft zum Atmen. Hier konnte man wirklich frei sein.
Aber erst seit ihre beiden Ponys auch hier waren und selig auf einer weiten Weide grasten, fühlte sich Karin endgültig wie im siebenten Himmel. Wobei sie sich ehrlich gesagt nicht sicher war, ob es den bei den Orthodoxen auch gab. Das musste sie erst nachlesen, sie war ja eine zwar begeisterte, aber eben doch noch Neurussin – und hatte noch viel zu lernen.
Es war bei Gott nicht einfach gewesen, die unschuldigen Tierchen aus den Klauen der skrupellosen Schergen, die Karin immer und überall politisch verfolgten, zu erretten und solcherart ihre drohende Verwurstung zu kapitalistischem Leberkäse gerade noch zu verhindern. Zum Glück hatte sich die größte Menschenrechtsorganisation der Welt, also die russische Armee, dieser Sache angenommen und sie zu einem glücklichen Ende gebracht: Sie hatte die Ponys mit einem Transportflugzeug von einem Militärstützpunkt im von Putin erfolgreich befriedeten Syrien zu ihr nach Russland gebracht.
Der Flieger hatte früher angeblich immer Sachen für diese Wagner-Gruppe transportiert. Also wahrscheinlich humanitäre Hilfsgüter wie Nahrung, Decken oder Saphir-Ohrringe. Aber Herr Prigoschin brauchte ihn ja dem Vernehmen nach nicht mehr – also worüber die ganze Aufregung? Der fantasievolle russische Blogger, der die ganze Sache aufgedeckt und geglaubt hatte, sein Deckname „Fighterbomber“ schütze ihn irgendwie vor einem liebevollen Klapps auf seine vorschnellen Finger, hatte sich eh auch schon bei ihr entschuldigt, bevor er vor lauter Scham über seine ruchlose Tat ebenfalls in diese betreute Wohneinheit nach Nowosibirsk umgezogen war, um dort ein neues, geläutertes Leben anzufangen.
Und wenn es nicht Karins Pferde gewesen wären, hätte ja auch niemand so ein Bahöö darum gemacht. Aber leider verfolgte ja Österreich jeden ihrer Schritte mit glühendem Hass. Egal, ob es nun darum ging, dass sie ihre Hochzeitsgeschenke behalten wollte – was eigentlich selbstverständlich war, denn wer wollte das nicht? – oder im Aufsichtsrat von Rosneft für eine kleine Aufwandsentschädigung ab und zu Kaffee für alle machte. Oder wenn sie, wie jetzt, die Leitung eines Thinktanks in St. Petersburg übernahm, der sich dem mit
Sicherheit brennendsten Problem der Gegenwart widmen würde: dem imperialistischen westlichen Dominanzstreben, das den Weltfrieden gefährdete.
Wobei, dieser Hass, der ihr aus der alten Heimat, die ihr doch so viel zu verdanken hatte, entgegenbrandete, war ja zum Glück wenigstens kein flächendeckender. Denn jene Partei, die schon damals messerscharf erkannt hatte, wie sehr es Österreichs Ansehen in der Welt heben würde, wenn man Karin als Ministerin auf sie losließ, sah das ja eh ganz
anders – passte doch zwischen die außenpolitische Ausrichtung Karins und des Rests der coolen Gang nach wie vor kein Löschblatt. Wien durfte zwar nicht Chicago werden – aber sehr wohl Irkutsk!
Nein, in der FPÖ hatte man Karins Verdienste nicht vergessen. Sie mochte sich damals zwar mit ihrem umsichtigen Handeln im Äußeren nicht ganz so abgrundtief in die Zeitgeschichte eingeschrieben haben wie Herbert Kickl mit dem seinen im Inneren – aber um viel war sie ihm nicht nachgestanden. Und die Partei konnte es sich trotz ihrer erwiesenermaßen extrem dicken Personaldecke einfach immer noch nicht leisten, auf eine nun wirklich überall, egal ob nun in Wladiwostok, Peking oder Pjöngjang, hoch angesehene Expertin zu verzichten. Also musste die Außenministerin des Kabinetts „Kickl I“ unbedingt wieder Karin Kneissl heißen. Mit ihr konnte das wichtigste Anliegen freiheitlicher Außenpolitik sicherlich am eindrucksvollsten umgesetzt werden. Denn niemand, wirklich niemand in Österreich kannte den Weg in Wladimir Putins Innerstes, den auch Herbert Kickl mit Begeisterung bekroch, besser als sie.
Und ohne jetzt dem Feind zu viel darüber zu verraten: Man musste sich dabei jedenfalls hinter ihm befinden.