Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Plagiatsplage

Plagiatsplage

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Neben seinen scharf geschnittenen Anzügen hatte Fiona an Karl-Heinz stets eines ganz besonders haltlos erotisiert: sein überbordender Intellekt. Immer schon hatte sie sich – die sie selbst nur durch unglückliche Fügungen des Schicksals wie etwa Reichtum, terminlich ungünstig gefallene Ehen oder einige tausend unausschlagbare Einladungen zu öden Partys von ihrer eigentlich erträumten Karriere in der Stammzellenforschung schweren Herzens Abstand nehmen musste – in der Gesellschaft akademisch gebildeter Hirnheroen am wohlsten gefühlt.

Kaum sprach einer in breiter Montafoner oder Mühlviertler Dialektik, wurden ihre Knie auch schon weich. Kam ihr jemand mit einer Gleichung, verspürte sie sofort den kaum bezähmbaren Wunsch, die Unbekannte darin zu sein. Und mit dem Taxler, der ihr einst als Entschuldigung für die lange Wartezeit bis zu seinem Erscheinen erklärt hatte, er sei aus der weit entfernten Wittgensteinstraße angereist, wäre sie beinahe nach Wolkersdorf durchgebrannt – wenn er an diesem Tag nicht auch für die Nachtschicht eingeteilt gewesen wäre.

Und als Karl-Heinz bei ihrem ersten Date auf einer Stoffserviette elegant die Rechnung durch zwei dividierte, war klar: Der ist es. Allerdings nahm sie seinen Heiratsantrag erst an, nachdem er ihr unter Tränen versichert hatte, sein Beitrag, den er damals als Finanzminister zur Universitätsreform geliefert hatte – damals war ihm entfleucht, man müsse einmal bei diesen Orchideenstudien Ordnung machen –, sei völlig missverstanden worden. Tatsächlich habe er nämlich einer drastischen Budgetaufstockung für Sino­logie und Numismatik das Wort reden wollen. Gerade Münzen hätten ihn ja immer sehr interessiert. Je mehr von ihnen, desto besser. Diesem Argument konnte sie sich natürlich nicht entziehen.

In den ersten Jahren ihrer Ehe war es auch genau so gelaufen, wie sie es sich immer vorgestellt hatte. Stundenlang wälzte sie sich leise stöhnend auf dem Eisbärenfell vor dem offenen Kamin, während er ihr die wichtigsten Passagen seiner in Arbeit befindlichen Dissertation „Die Senkung der Abgabenquote auf 40 Prozent bis zum Jahr 2010“ vorlas, für die er sich extra ein furchtbar kompliziertes Computerprogramm namens Google besorgt hatte.

Oder wenn er stundenlang über der Einnahmen-Ausgaben-Rechnung für ihren gemeinsamen Haushalt brütete, ein paar entzückende Schweißperlchen auf der wie aus Marmor gehauenen Oberlippe, tief in Zahlenkolonnen verloren, zu denen keinem Wirtschaftstheoretiker der Wiener Schule mehr etwas eingefallen wäre – bis er ihr endlich strahlend eine Zahl präsentieren konnte, die unterhalb der Steuerfreigrenze lag.
Manchmal nahm er sogar ein ungeheuer dickes Buch zur Hand. Dann setzte er sich in den großen Lehnstuhl gleich am Fenster ihrer Bibliothek und blätterte, von den sanften Strahlen der Nachmittagssonne in warmes Licht getaucht, versonnen darin – und schrieb sich dann die Telefonnummer, die er gesucht hatte, heraus. Es war eine herrliche, geistvolle, durch keinerlei Niedrigkeit beschmutzte Zeit.

Auch als er dann arbeitslos wurde, stand sie wie ein Fels hinter ihm. Sie wusste, jetzt brauchte er sie am dringendsten. Gerade Akademiker litten ja unter einem – in seinem Fall noch dazu völlig unverschuldeten – Ausscheiden aus dem Erwerbsleben am meisten. Und natürlich war es nicht schön, mit anzusehen, wie er sich, langsam an der Ungerechtigkeit der Welt verzweifelnd, mehr und mehr gehen ließ. Die Haare nur mehr jeden dritten Tag mit der Pflegeglanzspülung behandelte. Den ganzen Tag im Seidenpyjama blieb. Irgendeinen Shoppingkanal auf ihrem sechs Quadratmeter großen Fernseher laufen ließ und trüben Blicks die Slogans mitmurmelte oder bei nachmittäglichen Gerichtsshows manchmal fahrig hervorstieß: „Unschuldig! Ich schwör’s!“

All das hätte sie verkraftet. Es wären ja sicher wieder bessere Zeiten gekommen. Aber das jetzt, das war selbst ihr zu viel. Dabei hatten sie noch über diesen Guttenberg gesprochen! Waren sich einig gewesen in ihrer Empörung über diesen Schnösel, der all die hehren Bestrebungen richtiger Wissenschafter mit seinem gewissenlosen Egoismus verhöhnte.

„Hast du mir etwas zu sagen?“, schnarrte Fiona fuchsteufelswild und winkte drohend mit Karl-Heinzens Diplomarbeit, von der sie immer ein Exemplar in ihrem Nachtkästchen hatte, um sich gegebenenfalls ein wenig damit in Stimmung zu bringen. „Was fällt dir zu dem Wort ‚Plagiat‘ ein?“

Angsterfüllt starrte Karl-Heinz auf das zerfledderte Papier. „Die Klein-AG der Schweiz“, flüsterte er tonlos. „Schatz, wie kann ich das nur jemals … Ich wollte doch nicht … Aber ich war jung. Und der Professor brauchte das Geld.“

Fiona warf ihm sein Lebenswerk wutentbrannt vor die Füße. Und dann sagte sie den Satz, vor dem er sich schon immer mehr gefürchtet hatte als vor jedem anderen.

„Ich suche mir jetzt einen Atomphysiker!“ Sein Schluchzen verfolgte sie den ganzen Weg bis zur Tür. Aber es holte sie nicht mehr ein.

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